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auf der Homepage von Ruth und Frank Effertz

 

 2. WEIHNACHTEN 1886 BIS ZUM KARMELEINTRITT APRIL 1888

2.1. Weihnachtsgnade

Obgleich ihre Skrupel verschwunden sind, bleibt doch ihre übergroße Empfindlichkeit. Therese vermag sich selbst nicht davon zu befreien.

Nach gemeinsamem Besuch der Christmette freut sich Therese trotz ihrer bald 14 Lebensjahre darauf, zuhause ihre mit Gaben gefüllten Schuhe aus dem Kamin zu ziehen. Doch wider Erwarten "beendet der Vater den schönen Schein dieses Kinder-Spieles Thereses". Während sie die Treppe hinaufsteigt, hört sie ihren ermüdeten Vater Worte sagen, "die mir das Herz durchbohrten: 'Nun, gottlob ist es das letzte Jahr!...'" Ihr kommen die Tränen und Céline rät ihr, sich zurückzuziehen. "Aber Therese war nicht mehr die gleiche. Jesus hatte ihr Herz umgewandelt!" Sie drängt die Tränen zurück, geht hinunter und zieht "fröhlich" ihre Geschenke hervor. Sie "hatte ihre Seelenstärke wiedergefunden, die sie im Alter von viereinhalb Jahren [e.A.: seit dem Tod der Mutter] verloren hatte, und die sie sich nunmehr für immer bewahren sollte!..." Ein "wunderbarer Tausch" hat sich vollzogen: "In jener Nacht, in der Er [Jesus] sich schwach und leidend machte aus Liebe zu mir, machte Er mich stark und mutig." Hinzuweisen ist auf die Bedeutung des Empfangs der Heiligen Kommunion für Thereses Weihnachtsgnade. Denn zuvor hat sie bei der Kommunion in der Christmette "den starken und mächtigen Gott [...] empfangen". "Die in Christus zuteil gewordene Erfahrung der Stärke gibt ihr jetzt die Kraft, den völlig unerwarteten und harten Schock zu ertragen."

In dieser Nacht empfängt Therese "die Gnade [...], der Kindheit zu entwachsen, [...] die Gnade meiner vollständigen Bekehrung". Ein neuer Lebensabschnitt fängt an, Therese beginnt nun "wie ein Riese zu laufen! ... " von Sieg zu Sieg.

Nachdem Therese zehn Jahre vergeblich darum gerungen hat, ihre übertriebene Empfindlichkeit zu überwinden, wird ihr die Umwandlung in einem einzigen Augenblick geschenkt. Therese macht hier also gewissermaßen eine Aufzugserfahrung, denn die Umwandlung hat Jesus vollbracht.

Therese vergleicht ihre Situation mit der der Apostel, die die ganze Nacht nichts gefangen hatten, aber die biblische Geschichte vom wunderbaren Fischfang noch insofern übertreffend, als Jesus selbst das Netz auswarf und einholte. Neben der Seelenstärke wird Therese auch eine erhöhte Fähigkeit zur Liebe und Selbstverleugnung geschenkt. "Ja, ich fühlte die Liebe in mein Herz einziehen, das Bedürfnis, mich selbst zu vergessen, um [anderen] Freude zu machen, und von da war ich glücklich!..." Hat sie sich bisher nur um sich selbst, ihr eigenes geistliches Leben und ihre Tugenden gemüht, so erwacht in ihr jetzt ein bislang unbekanntes, großes Verlangen, an der Bekehrung der Sünder zu arbeiten; sie fühlt sich zum "Seelenfischer" berufen. "Die Gnadenerfahrung des Weihnachtsfestes von 1886 stellt somit den Beginn des eigentlichen Weges der Kleinen Thérèse dar."

2.2. Durst nach Seelen

Prägend wird eine Begebenheit während einer Sonntagsmesse im Juli 1887: Beim Schließen des Gebetbuches ragt ein Andachtsbild, etwas hervor und Thereses Blick fällt auf eine Hand des gekreuzigten Herrn. Diese durchbohrte, blutende Hand betrachtend, bemerkt sie erschüttert, daß das Blut unbeachtet zur Erde tropft und niemand es auffängt. Es ist diese geschmähte, vergessene Liebe Jesu, die sie zuinnerst anrührt. "Ich beschloß, im Geiste meinen Standort am Fuße des Kreuzes zu nehmen, um den ihm entfließenden Göttlichen Tau aufzufangen, und begriff, daß ich ihn nachher über die Seelen ausgießen müsse... Der Schrei Jesu am Kreuz widerhallte ununterbrochen in meiner Seele: ' Mich dürstet!' [Joh 19,28] Diese Worte entfachten in mir ein unbekanntes, heftiges Feuer... Ich wollte meinem Viel-Geliebten zu trinken geben und ich fühlte mich selbst vom Durst nach Seelen verzehrt". Therese erkennt im Ausruf des Gekreuzigten ("Mich dürstet!") Jesu Sehnen nach den Verlorenen, die er retten will. Dieser Durst nach Seelen wird nun auch Therese verzehren, hier kündigt sich bereits ihre Sendung an.

2.2.1. Gebet für große Sünder (Pranzini)

"Noch waren es nicht Priesterseelen, zu denen es mich hinzog, sondern die der großen Sünder". Die Gelegenheit zur Erprobung ihrer neuen Eindrücke ergibt sich bald: Ein junger Verbrecher, Pranzini, wird wegen dreifachen Mordes zum Tod verurteilt. Pranzini "soll den russischen Nihilisten angehört haben und galt seiner Zeit als Archetypus des echten Kriminellen". Während "alle Zeitungen, darunter auch La Croix, nur von dem 'unheimlichen Schuft', von dem 'Monstrum', von dem 'schändlichen, rohen Menschen' sprechen, nimmt das junge Mädchen ihn an als ihr erstes Kind". Therese, die unbedingt verhindern möchte, daß Pranzini der ewigen Verdammnis anheimfällt, betet intensiv für seine Bekehrung und läßt vermittelt durch Céline ohne Nennung der Intention eine Messe lesen.

"Im Grunde meines Herzens fühlte ich mit Gewißheit, daß unser Verlangen erfüllt werden sollte, um mir jedoch Mut zu machen, im Gebet für die Sünder fortzufahren, sagte ich dem Lieben Gott, ich sei ganz sicher, daß er dem unglücklichen Pranzini verzeihen werde, daß ich dies sogar glauben würde, wenn dieser nicht beichtete und kein Zeichen der Reue gäbe, so großes Vertrauen hatte ich in die unendliche Barmherzigkeit Jesu, aber ich bäte ihn doch um 'ein Zeichen' der Reue, einfach zu meinem Trost..."  Noch am Tag seiner Hinrichtung lehnt Pranzini die Dienste des Gefangenenseelsorgers ab, doch im letzten Augenblick, schon auf dem Schafott, wendet er sich plötzlich um, ergreift das Kreuz und küßt zweimal die heiligen Wunden.

Sich über Vaters Verbot, Zeitung zu lesen, hinwegsetzend, liest Therese am nächsten Tag den Bericht über Pranzinis Hinrichtung in 'La Croix' und erkennt das von Gott erbetene Zeichen: "Mein Gebet wurde wörtlich erhört! [...] Ich hatte das erbetene 'Zeichen' erhalten, und dieses Zeichen war das getreue Abbild von Gnaden, die Jesus mir gewährt hatte, um mich zum Gebet für die Sünder anzuspornen." Ihr 'erstes Kind' hatte die Wunden des Gekreuzigten geküßt, deren Blut sie auffangen wollte, um es über die Seelen auszugießen.

"Welcher Mut liegt allein schon darin, sich dem gesammelten Entsetzen der Öffentlichkeit über diesen Unmenschen zu entziehen und an seine Erlösung zu glauben!", bemerkt Wollbold. Thereses Glaube an Gottes Barmherzigkeit wird durch diese Erfahrung gestärkt: "Indem Thérèse den größten Verbrecher ihrer Zeit adoptiert, findet sie durch Pranzini zur tieferen und besseren Erkenntnis Jesu und seiner Liebe."

2.2.2. Gebet für Priester

Seit dem Erlebnis mit Pranzini wächst Thereses "Begierde, Seelen zu retten", immer mehr. Das Gebet für die Sünder begeistert sie. Doch der Karmel betet besonders für die Priester. "Für die Priester beten, von denen ich meinte, sie seien reiner als Kristall, das fand ich erstaunlich!... Ach! in Italien habe ich meine Berufung verstanden". Ein Monat Zusammensein mit 75 Priestern lehrt Therese, daß selbst heiligmäßige Priester "dennoch schwache und gebrechliche Menschen bleiben" und des fürbittenden Gebetes dringend bedürfen. Therese will, wie Six es ausdrückt, "Missionarin [...] in zweiter Instanz" sein. Als " Apostel der Apostel" will Therese für die Priester beten, "während sie durch ihr Wort und vor allem ihr Beispiel die Seelen für das Evangelium gewinnen".

2.3. Bücher

Ausgelöst durch die tiefe Umwandlung Weihnachten 1886, kommt es in den folgenden 15 Monaten zu einer intensiven geistigen und geistlichen Entwicklung Thereses. "Von den Skrupeln und der übermäßigen Empfindlichkeit befreit, begann sich mein Geist zu entwickeln. Ich hatte stets das Große, Schöne geliebt, doch damals erfaßte mich ein sehr großer Drang nach Wissen." Selbständig beschäftigt sich Therese mit Geschichte und Naturkunde.

Im Mai 1887 wagt Therese gegen ihre Gewohnheit, ihren Vater um ein vom Karmel ausgeliehenes Buch zu bitten: 'Ende der gegenwärtigen Welt und Geheimnisse des zukünftigen Lebens', neun Konferenzen von Abbé Arminjon. Seine Lektüre "gehört auch zu den größten Gnaden meines Lebens". Therese ist begeistert: "Alle großen Wahrheiten der Religion, die Geheimnisse der Ewigkeit tauchten meine Seele in ein überirdisches Glück... Ich empfand schon im voraus, was Gott denen vorbehält, die ihn lieben (nicht mit dem leiblichen Auge, sondern mit dem des Herzens) [vgl. 1 Kor 2,9], und da ich sah, wie die ewigen Belohnungen in keinem Verhältnis stehen zu den geringen Opfern des Lebens [vgl. Röm 8,18] wollte ich lieben, Jesus mit Leidenschaft lieben, ihm tausend Zeichen der Liebe geben, solange ich es noch vermochte... Ich schrieb einige Stellen ab über die vollkommene Liebe und über die Aufnahme, die Gott seinen Erwählten bereitet im Augenblick, da Er selbst ihre große und ewige Belohnung wird. Unaufhörlich wiederholte ich die Worte der Liebe, die mein Herz entflammt hatten..."

Der Himmel ist nach Arminjon kein fernes Jenseits. Folgendermaßen beschreibt er die Aufnahme, die Gott seinen Erwählten bereitet: "... Und Gott ruft dankbar aus! Jetzt bin ich an der Reihe. Kann ich auf das Geschenk, das die Heiligen mir von sich gemacht haben, anders antworten, als mich selbst hinzugeben, ohne Vorbehalt und ohne Einschränkung?" Selbst wenn Gott seinen Erwählten viel mehr zuteil werden ließe, als für deren vollkommene Seelenruhe nötig, wäre doch seine eigene Liebe noch nicht befriedigt: Deshalb durchglüht wie Feuer das Eisen Gott die Erwählten mit seiner Göttlichkeit und vereinigt sich mit ihnen durch ein ewiges Von-Angesicht-zu-Angesicht.

Die Begeisterung für Arminjon wird auch im Karmel anhalten: Oftmals zitiert Therese hieraus. Sie empfiehlt einer durch ihren atheistischen Mann in ihrem Glauben verunsicherten Frau das Buch zu geben.

2.4. Gespräche mit Céline / Liebesergüsse

Céline wird die "innige Vertraute meiner Gedanken" Infolge der Weihnachtsgnade ist der Altersunterschied überwunden, Therese ist "groß geworden, an Wuchs und vor allem an Gnade". Diesen Sommer 1887 führen sie jeden Abend im Belvedere Gespräche, während sie, "den Blick in die Ferne gerichtet" den Mond betrachten. Therese vergleicht den Austausch ihrer Seelen mit Augustinus und Monika in Ostia. "Mir scheint, daß wir Gnaden von so hohem Range erhielten, wie sie den großen Heiligen zuteil werden. Wie die Nachfolge Christi sagt, teilt sich der Liebe Gott bald in strahlendem Glanz mit, bald 'sanft verhüllt, unter Schatten und Bildern' [Nachfolge Christi, 3. Buch, Kp. 43,4]; auf diese Weise geruhte Er, sich unseren Seelen kundzutun, aber wie zart und durchsichtig war der Schleier, der Jesus unseren Blicken verbarg!... Ein Zweifel war nicht möglich, schon waren Glaube und Hoffnung nicht mehr nötig, die Liebe ließ uns Jenen, den wir suchten, auf Erden finden."

Aus den Gnaden erwachsen reichlich Früchte, die Übung der Tugend wird ihr anziehend und  "das Entsagen [...] leicht, selbst im ersten Augenblick".

2.5. Eucharistische Gnaden

Seit Mai ist ihr gestattet vier- bis fünfmal pro Woche die heilige Kommunion zu empfangen. Diese außergewöhnliche Erlaubnis von Abbé Lepelletier läßt sie vor Freude weinen, denn sie hat sich vorgenommen, zwar keine einzige gestattete Kommunion zu versäumen, aber dem Beichtvater "zu überlassen, deren Zahl zu bestimmen, ohne ihn je darum zu bitten". Später wird Therese allerdings die mangelnde Kühnheit ihrer Haltung kritisieren.

2.6. Seelenführung

Während ihre Schwestern alle einen Seelenführer haben, hat Therese kein Bedürfnis nach Hilfe von außen: "Ich war nur ganz kurz im Beichtstuhl, nie sagte ich ein Wort von meinen inneren Empfindungen, der Weg, den ich wandelte, war so gerade, so lichtvoll, daß ich keinen anderen Führer brauchte als Jesus... [...] ich sagte mir, der Liebe Gott wolle sich bei mir keines Mittlers bedienen, sondern unmittelbar wirken!..." Jesus "unterwies mich im geheimen in den Dingen seiner Liebe" . Therese wächst in der Liebe zu Gott und fühlt "eine bis anhin unbekannte Begeisterung, machmal geriet ich in eine wahre Hingerissenheit der Liebe". In ihrem Verlangen, daß Jesus überall geliebt werde, sagt sie ihm, daß sie sogar bereit ist in die Hölle verstoßen zu werden, damit er auch da geliebt werde, denn "wenn man liebt, empfindet man das Bedürfnis, tausend Torheiten zu sagen". Nicht, daß sie nicht nach dem Himmel begehrt hätte, "aber damals war die Liebe mein Himmel, und ich fühlte wie der Hl. Paulus, daß nichts mich trennen könne von dem göttlichen Gut, das mich an sich gerissen [vgl. Röm 8,39]!..."

Durch ihre Beschäftigung mit zwei zeitweise in die Buissonnets aufgenommen Waisenkindern erkennt Therese die Wichtigkeit, Seelen "schon von ihrem Erwachen an gut zu bilden, wo sie noch dem weichen Wachs gleichen, dem man den Stempel der Tugenden einprägen kann, aber auch den des Bösen... [...] Oh! wieviele Seelen würden zur Heiligkeit gelangen, wenn sie die richtige Führung hätten!..."

2.7. Natur

Etwas aus der Natur kann für Therese einen hohen symbolischen Wert (für ihren Weg mit Gott) erhalten, wie die kleine weiße Blume, die ihr Vater ihr pflückt, als sie ihm den Wunsch mitteilt, in den Karmel einzutreten.

Tief beeindruckt vom Anblick der Schweizer Berge wird Thereses Herz durch diese Schönheiten der Natur zu Gott emporgehoben. Entsprechend schreibt sie ihrer Cousine: "bei den Schweizer Bergen, die wir durchfuhren, kann man so gut beten. Man spürt, daß Gott da ist!" Therese betrachtet einen See im Sonnenuntergang, am Horizont die Berge, deren schneeige Gipfel in der Sonne aufleuchten: "Der Anblick all dieser Schönheiten regte meine Seele zu tiefen Gedanken an. Mir war, als begriffe ich schon jetzt, wie groß Gott ist und wie wundervoll der Himmel..." Therese nimmt sich vor, sich dieser Eindrücke zu erinnern, wenn sie später "als Gefangene im Karmel nur mehr ein kleines Stückchen des besternten Himmels" wird sehen können. Angesichts der "Größe und Macht Gottes", den allein sie lieben will, wird sie ihre eigenen kleinen Nöte vergessen.

Auch die verheerenden Spuren des Vesuv zeigen Therese Gottes Macht, und gerne würde sie allein in den Trümmern von Pompei umhergehen, "um über die Hinfälligkeit alles Irdischen Betrachtungen anzustellen".

Thereses Bewunderung gilt nicht der Natur selbst, sondern allein dem Schöpfer, auf dessen Erhabenheit und Macht sie verweist.

2.8. Heilige Dinge auf der Pilgerfahrt

In der Kirche Notre-Dame-des-Victoires (vor der Romfahrt) in Paris empfängt Therese am 4.11. wichtige Gnaden und wird völlig befreit von ihren Zweifeln bezüglich des Lächelns der Muttergottes, die sie seit vier Jahren gequält haben.

Auf der Pilgerfahrt lauscht Therese aufmerksam den Führungen. Sie ist bestrebt, alles zu sehen und zu berühren - "Ich war wirklich allzu verwegen!..." - und sammelt Reliquien. "Meine Seele wurde weit im Umgang mit heiligen Dingen..." Beim Besuch der Kirche Sancta Caecilia in Trastevere wird die heilige Cäcilia ihre Freundin und Lieblingsheilige.

Besonders beeindruckt Therese das Kolosseum und selbst ein Schutzgatter kann sie nicht hindern, in die Arena hinabzusteigen. "Mein Herz klopfte heftig, als meine Lippen den Sand berührten, den das Blut der ersten Christen gerötet hatte. Ich bat um eine Gnade, auch eine Martyrerin für Jesus zu werden, und ich fühlte im Innern meines Herzens, daß mein Gebet erhört war!..."

2.9. Verlassenheit/Trockenheit

Therese, für die Daten sehr wichtig sind, hat sich fest vorgenommen am 25.12.1887, dem Jahrestag ihrer Bekehrung, (mit knapp 15 Jahren) in den Karmel einzutreten. Aber viele und immer größere Hindernisse stellen sich ihr in den Weg. "Doch der Göttliche Ruf war so drängend, daß, hätte ich durchs Feuer gehen müssen, ich es getan haben würde, um Jesus treu zu sein..."

Nachdem Therese die Einwilligung ihres Vaters erhalten hat, braucht sie noch die ihres beigegebenen Vormundes, Onkel Guérins. Aber dieser hält sie für zu jung und verbietet am 8.10. einen Karmeleintritt vor dem 17. Lebensjahr, nur ein Wunder könne ihn noch umstimmen. Am selben Tag schreibt Therese an Schwester Agnès: "Trotz allem bin ich voll Mut. Ich bin ganz sicher, der Liebe Gott wird mich nicht im Stich lassen. [...] Er bleibt mir noch".

Aber in den drei Tagen vom 19.-22.10., ehe sie ein erneutes Gespräch mit dem Onkel wagt, macht Therese erstmals die Erfahrung der inneren Trockenheit, des Schweigens Gottes: "Ich befand mich in einer traurigen Wüste, oder besser, meine Seele glich dem zerbrechlichen Schifflein ohne Steuermann den Wogen preisgegeben... Jesus war da und schlummerte in meinem Nachen, aber die Nacht war so schwarz, daß ich ihn nicht sehen konnte; nichts gab mir Licht, nicht einmal ein Blitz zerriß die düsteren Wolken... Sicher ist das Aufleuchten der Blitze ein kläglicher Schein, doch wäre ein Gewitter losgebrochen, so hätte ich Jesus wenigstens für einen Augenblick wahrnehmen können... es war Nacht, tiefe Nacht der Seele... wie Jesus im Garten der Todesangst fühlte ich mich einsam, ich fand keinen Trost, weder auf Erden noch vom Himmel her, der Liebe Gott schien mich verlassen zu haben!!!..." Diese Erfahrung ist neu und befremdlich für Therese, die in den letzten Monaten so viele Erleuchtungen erhalten hat.

Auf einen Brief von Schwester Agnès hin gibt der Onkel seinen Widerstand gegen Thereses Karmeleintritt auf. "In meiner Seele war die Nacht gewichen. Jesus war erwacht und hatte mir die Freude wiedergegeben, das Tosen der Wogen hatte sich gelegt".

Aber es wird sich noch "mehr als ein Ungewitter [...] erheben". Der Superior des Karmels ist mit Thereses Eintritt vor 21. Lebensjahr nicht einverstanden. Man wendet sich an den Bischof in Bayeux, aber zunächst ergebnislos. "So war denn die Erlaubnis des Heiligen Vaters meine einzige Rettungsplanke... Aber um sie zu erhalten, mußte man darum bitten; vor allem mußte man in aller Öffentlichkeit es wagen: 'zum Papst' zu sprechen". Am 20.11. ist die Audienz beim Papst. Trotz eines Verbotes spricht Therese den Heiligen Vater an und bittet um die Erlaubnis, mit 15 Jahren in den Karmel eintreten zu dürfen. Mehrfach hebt sie an, um ihr Anliegen zu vertreten, aber der Papst verweist sie an ihre Oberen. "Der Heilige Vater sagte mir einfach: 'Wenn der liebe Gott will, werden Sie eintreten.'"

Als Therese nochmals versucht zu sprechen, und nicht auf die Aufforderung der Nobelgardisten reagiert, "rissen [sie] mich mit Gewalt von seinen [e.A.: des Papstes] Füßen fort" und tragen sie zum Ausgang. "Ich war wie vernichtet. Ich fühlte mich verlassen".

Therese ist in Tränen aufgelöst. Dennoch beschreibt sie in MsA einen tiefen inneren Frieden: "Im Grunde des Herzens empfand ich tiefen Frieden, da ich tatsächlich alles getan hatte, was in meinen Kräften stand, um dem Ruf Gottes Folge zu leisten. Aber dieser Friede ruhte ganz auf dem Grunde, während meine Seele von Bitterkeit erfüllt war, denn Jesus schwieg. Er schien abwesend, nichts verriet mir seine Gegenwart..."

Diese paradoxe Erfahrung des tiefen inneren Friedens trotz äußerer Bitterkeit, die Therese in MsA wie selbstverständlich beschreibt, scheint Therese bei der Papstaudienz noch neu zu sein. Ein kurz nach ihrer Heimkehr verfaßter Briefentwurf an Bischof Hugonin mag darauf hinweisen, wie sie mit der Erfahrung ringt und Schwierigkeiten hat, sie in Worte zu fassen. So heißt es in der Ursprungsversion des Briefes: "Sie wissen, daß der Liebe Gott sie [e.A. die Prüfungen] mir nicht erspart hat. Aber ich fühlte, (mitten in meinem Herzen eine große Ruhe durch Jesus, das Jesuskind), daß ich für Jesus litt, und ich hörte nicht einen Augenblick auf zu hoffen (oh! ja, weil er mich würdig erachtete). (Er war in meinem Herzen)". Doch streicht sie selbst die charakteristischen Stellen durch und in ihrem zweiten Konzept und der durch den Onkel überarbeiteten endgültigen dritten Fassung erscheinen sie - und damit auch Thereses charakteristische Erfahrung - nicht mehr. Die oben aus B 38A zitierte Stelle schrumpft schließlich in B 38C zu: "Sie wissen, Monseigneur, daß der liebe Gott sie [e.A. die Prüfungen] mir nicht erspart hat, aber ich fühlte, daß ich für Jesus litt, und in keinem Augenblick habe ich aufgehört zu hoffen."

Zur Zeit der Romfahrt erscheint das Motiv des Balls oder des Spielzeugs Jesu in Thereses Korrespondenz. Dieses Bild wird von Therese und ihren Korrespondenten dann verwendet, "wenn ihre Pläne auf Widerstand stoßen und größere Hingabe von ihr verlangt wird".

"Seit einiger Zeit hatte ich mich dem Jesuskind als sein kleines Spielzeug angeboten. Ich hatte Ihm gesagt, es solle mich nicht wie ein kostbares Spielzeug behandeln, das die Kinder nur anschauen, weil sie nicht wagen, es anzurühren, sondern als einen kleinen Ball von keinerlei Wert, den es auf den Boden werfen, mit dem Fuß stoßen, durchbohren, in einem Winkel liegen lassen oder an sein Herz drücken könne, wenn es ihm Freude mache. Mit einem Wort, ich wollte den kleinen Jesus unterhalten , ihm Spaß machen, ich wollte mich ganz seinen kindlichen Unberechenbarkeiten überlassen... Er hatte mein Gebet erhört... In Rom durchbohrte Jesus sein kleines Spielzeug."

2.10 Nichtigkeiten

Am 28.12. benachrichtigt Bischof Hugonin die Priorin, sie solle die Entscheidung treffen. Aber jetzt verzögert der Karmel selbst Thereses Eintritt noch bis nach der strengen Fastenzeit, also noch "drei Monate Verbannung". Bezüglich der Prüfungen vor ihrem Karmeleintritt schreibt Therese im März "(Ich glaube, der Liebe Gott schickt mir diese Prüfungen, damit ich nichts wünsche, nicht einmal das, was ich für das Beste halte...)"

Therese nutzt die drei Monate Aufschub, um "mehr denn je ein ernstes, abgetötetes Leben zu führen" und sich so auf ihren Karmeleintritt vorzubereiten. Mit 'abgetötet' meint Therese nicht die Verrrichtung von Bußwerken, sondern die Übung kleiner, alltäglicher "Nichtigkeiten": "Meine Abtötungen bestanden darin, meinen Eigenwillen zu brechen, der immer bereit war, sich durchzusetzen, ein Wort des Widerspruchs zurückzuhalten, kleine Dienste zu erweisen, ohne sie ins Licht zu stellen, mich beim Sitzen nicht anzulehnen, usw., usw..."

Im März schreibt Therese an Schwester Agnès, daß sie nur wünsche, im Karmel "immer für Jesus zu leiden" und nennt hierfür eine Fülle von Motivationen: im Himmel eine schönere Krone haben, Gott in Ewigkeit mehr lieben, Seelen retten, die dann ihrerseits Gott preisen.

Kurz vor ihrem Karmeleintritt erscheint das Sandkorn "als Symbol des Begrabens, des Übersehen- und Vergessenwerdens" erstmals in einem Brief von Therese. (Dieses Bild wird sie bis zu ihrer Profeß häufig verwenden.)  Im selben Brief vertraut sie Schwester Agnès an, daß sie eine Heilige sein will.

zu Kapitel 3

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