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auf der Homepage von Ruth und Frank Effertz

 3. POSTULAT UND NOVIZIAT

 (APRIL 1888 BIS SEPTEMBER 1890)

3.1. Karmel

Der traditionsreiche Karmel wird im 16. Jahrhundert in Spanien durch Teresa von Avila und Johannes vom Kreuz reformiert. 1585 wird der reformierte Zweig in Frankreich eingeführt. "Die erste Priorin (1578-1637) des französischen Karmels schreibt über die Aufgabe des Ordens: 'Es dahin bringen, daß die Seelen zu Jesus Christus finden, beständig bemüht sein, ihn selbst in den Seelen zu bilden' und 'Der einzige Grund, aus dem ich mir wünsche, auf Erden zu leben und zu bleiben, ist nur, damit ich Jesus Christus mehr Seelen zuführen kann'. Seit Kardinal Bérulle besteht das Leben der Schwestern in Buße für die Sünder, um die Strafe Gottes abzuwenden." 

Auch im Karmel von Lisieux wetteifert man "mit heroischen Bußübungen für die Sünder, um Gottes strafende Gerechtigkeit zu besänftigen. Das Streben nach Heiligkeit wurde nicht als Gnade aufgefaßt, die Heiligkeit war machbar".

3.2. Gemeinschaftsleben

Therese, die bei ihrem Eintritt in den Karmel keine Illusionen hat, begegnet auf ihren ersten Schritten "mehr Dornen als Rosen!... Ja, das Leiden streckte seine Arme nach mir aus, und ich warf mich mit Liebe hinein...". Die ersten Arbeiten der Postulantin bestehen in Flicken, Kehren und Gartenarbeit. Therese, von daheim nicht an Hausarbeit gewohnt, ist langsam und ungeschickt. Sie wird deshalb von ihren Mitschwestern kritisiert. Insbesondere Schwester Saint-Vincent-de-Paul, selbst eine ausgezeichnete Stickerin, greift sie an und meint, die junge Postulantin werde der Kommunität niemals nützlich sein. Mit ihren bissigen Bemerkungen fügt sie Therese so manche schmerzhafte 'Nadelstiche' zu. 'Nadelstiche' ist ein Bild für die vielen kleinen zugefügten Leiden, die viel schmerzhafter sind als ein großes. Therese schreibt aus ihren Einkleidungsexerzitien: "Er [Jesus] DURCHLÖCHERT mich mit Nadelstichen. Der arme kleine Ball kann nicht mehr. Überall hat er ganz kleine Löcher, die ihn mehr leiden lassen, als wenn er nur ein großes hätte! ... [...] Aber die Geschöpfe, oh! die Geschöpfe! ... Den kleinen Ball durchzuckt es dabei! ... [...] Wenn der süße Freund seinen Ball selber durchsticht, dann ist das Leiden süß, seine Hand ist so zart! ... Aber die Geschöpfe! ... [...] Dennoch bin ich SEHR glücklich, glücklich zu leiden, was Jesus will, daß ich leide. Ist er es nicht selbst, der seinen kleinen Ball durchsticht, so führt er doch die Hand, die ihn durchsticht!..."

Weitere Schwierigkeiten ergeben sich für Therese daraus, daß sie im Karmel ihre "beiden dienstfertigen Mütter" wiederfindet. Therese ist immer bemüht im Karmel nicht wieder die Familienatmosphäre aufkommen zu lassen, "sie ermißt die Gefahr des Erstickens".

Ihr Seelenführer (Jesus) unterweist Therese bezüglich des Gelübdes der Armut: Als eine Schwester abends versehentlich Thereses Lampe mitnimmt, so daß Therese kein Licht hat,  "fühlte [ich], daß die Armut darin besteht, nicht nur die angenehmen Dinge zu entbehren, sondern selbst die unentbehrlichen [...] Damals erfaßte mich eine wahre Liebe zu den häßlichsten und unbequemsten Gegenständen; so empfand ich Freude darüber, daß der hübsche, kleine Krug aus unserer Zelle entfernt wurde, und man mir statt dessen einen dicken, ganz beschädigten gab..."

Therese bemüht sich, sich nicht zu rechtfertigen. Ohne eine Gelegenheit zur Übung der großen Tugenden praktiziert Therese die kleinen, indem sie z.B. den Schwestern kleine Dienste tut, deren Mäntel zusammenfaltet etc. Es wird ihr nichts erlaubt, um ihrer Liebe zur Abtötung genügezutun. "Jene [e.A.: Bußübungen], die man mir zuteil werden ließ, ohne daß ich darum nachsuchte, bestanden darin, meine Eigenliebe abzutöten, und das nützte mir auch mehr als die körperlichen Bußwerke..."

3.3. Gemeinschaftliches Gebet

Im Karmel stehen sechseinhalb Stunden Gebet im Chor auf der Tagesordnung: Diese setzten sich zusammen aus Eucharistiefeier, dreieinhalb Stunden kanonischem Stundengebet und zwei Stunden schweigender Betrachtung. 

Mit 'gemeinschaftlichem Gebet' sei im folgenden (vor allem) das Stundengebet gemeint. Vermutlich hatte sich Therese bei ihrem Karmeleintritt besonders auf das gemeinschaftliche Gebet gefreut. "Aber da gibt es tausend Dinge, die man beachten muß: es heißt, im Takt bleiben, an diese Kniebeugung, an jene Antiphon denken." Da Therese kein Latein versteht, kann sie dem Text meist nicht wörtlich folgen, (wenngleich sie verschiedene Abschnitte durch vorbereitende Lesung von Übersetzungen versteht).

Therese findet sich nur schwer in diesem "so ausgesprochen objektiv-amtlichen Beten" zurecht. "Sie empfindet das Chorgebet wie eine Art Zwang, eine auferlegte Ordnung, einen Verlust des freien Betens Gott gegenüber." Balthasar spricht hier von einer "Art Fremdheit im Gebet", die Thereses allgemeine Trostlosigkeit einleite. "Die Konzentration auf die äußere Korrektheit durchschneidet in ihr die letzte Spontaneität des inneren Gebetsschwungs. Eine gewisse Ängstlichkeit, es falsch zu machen, wird sie von diesen ersten Wochen und Monaten beibehalten, und später, wenn sie das Technische beherrschen wird, wird ihr diese Beherrschung wie auf Kosten der innern subjektiven Hingabe errungen scheinen."

"Aber ich kann sagen, das Offizium war gleichzeitig meine Seligkeit und mein Martyrium, denn obgleich ich so sehr wünschte, es gut zu rezitieren und keine Fehler zu machen, kam es doch vor, daß ich manchmal infolge einer völlig unfreiwilligen Zerstreuung den Mund nicht auftat, wenn der Augenblick gekommen war, obwohl ich eine Minute vorher überdacht hatte, was ich zu sagen hatte. Und doch glaube ich nicht, man hätte sehnlicher als ich wünschen können, das Offizium auf vollkommene Weise zu rezitieren und am Chorgebet teilzunehmen."

Trotz ihrer Schwierigkeiten mit dem Stundengebet, schätzt Therese die von den Schwestern gemeinsam verrichteten Gebete sehr - nicht in erster Linie wegen ihres Inhaltes sondern wegen der Gemeinschaft, für die Jesus seine Gegenwart verheißen hat. Wie sonst so steht für Therese also auch hier die Begegnung mit Jesus im Vordergrund: "Ich liebe die gemeinsamen Gebete sehr, denn Jesus hat verheißen, er werde mitten unter denen sein, die sich in seinem Namen versammeln , dann fühle ich, wie der Eifer meiner Mitschwestern den meinen ergänzt". Aus Gehorsam reagiert Therese unverzüglich auf das Läuten zum Gebet.

3.4. Trockenheit / Gebetsschwierigkeiten

Therese hat mit Gebetsschwierigkeiten zu kämpfen. Therese, von der erwartet wird, sie müsse in Tröstungen schwimmen, erlebt stattdessen geistliche Trockenheit.

Im Karmel sind täglich zwei Stunden der Betrachtung vorgesehen. Diese  ganz dem innerlichen Gebet vorbehaltene Zeit verbringen die Schwestern in Stille gemeinsam im Chor. Therese empfindet dabei fast immer trostlose Vereinsamung, aber sie nimmt die Trockenheit im Gebet an als von Gott auferlegtes Kreuz.

Therese ist der langen Stille nicht gewachsen und wird bei ihren Betrachtungen und Kommuniondanksagungen häufig vom Schlaf übermannt, und dies während all ihrer im Karmel zugebrachten Jahre. Möglicherweise ist ihr Einschlafen auch auf physische Ursachen zurückzuführen, wie ihr jugendliches Alter und die knappen Schlafzeiten sowie ungünstigen Schlafbedingungen (Kälte etc.) im Karmel. Obwohl sie durch Bücher versucht wach zu bleiben, schläft sie häufig ein und auch Jesus erlebt sie als schlafend. "Dem Schlafen Jesu entspricht also der Schlaf Thereses."

Trotz aller Schwierigkeiten ist sie fest entschlossen zur Treue im innerlichen Gebet. Denn die Zeit der Betrachtung ist für sie Gottes Zeit, die man nicht abkürzen und über die man nicht mehr verfügen darf. Das Gebet ist schließlich die Hauptaufgabe einer Karmelitin. Auch auf diesem Gebiet erlebt Therese also 'Unzulänglichkeit'. Zur Zeit der Abfassung des MsA versucht sich Therese ihre Gebetsschwierigkeiten/ihr Einschlafen mit faszinierender Unbekümmertheit auf dreierlei Weise zu erklären. An den Jahre zuvor verfaßten Briefen erkennt man aber, daß diese Unbekümmertheit wohl erst mit der Zeit wuchs.

Beierle weist darauf hin, daß sich die Trockenheit im Laufe des Lebens entwickelt hat: "Sie, die ihren Freund Jesus so sehr liebt, die so gefühlsstark und so gefühlsbetont war und die Ihn in ihrer vorklösterlichen Zeit auch so oft fühlen durfte, wird nun immer mehr die nicht fühlbaren Freuden kennenlernen."

Bereits im Juli 1888 schreibt Therese: "Wenn man Jesus noch fühlte, oh! man würde gern alles für ihn tun. Aber nein, er scheint tausend Meilen fern, wir sind mit uns selbst allein. Oh! welch öde Gesellschaft, wenn Jesus nicht dabei ist." Warum kommt Jesus denn nicht trösten? Er ist ganz nahe, aber er "bettelt um diese Traurigkeit" wegen der Seelen.

Vermutlich sind die Exerzitien ihrer Kindertage bei Abbé Domin dafür verantwortlich, daß Therese später immer mit Furcht in Vortrags- und Einzelexerzitien geht. Gerade in Exerzitienzeiten erfährt Therese besonders intensiv Trockenheit, Schläfrigkeit und Verlassenheit.

Die Notizen aus ihren Einkleidungsexerzitien geben ein beredtes Zeugnis ihrer Not. Die Trockenheit, die Therese seit einigen Monaten erfährt, verschärft sich während der drei oder vier Stunden täglicher Betrachtung: "Nichts bei Jesus, Trockenheit! ... Schlaf! ..." Aber Therese will seinen Schlaf nicht stören, denn: "Ich bin froh genug, daß er sich mit mir nicht ziert. Er zeigt mir, daß ich für ihn keine Fremde bin, wenn er mich so behandelt, denn ich versichere Sie, er läßt sich die Unterhaltung mit mir nichts kosten! ... " Therese "kann Jesus nichts sagen, und vor allem, Jesus sagt überhaupt nichts zu [ihr]". Sie bittet Schwester Marie du Sacré Coeur um Fürbitte, daß ihre Exerzitien "trotzdem" Gott gefallen. Vielleicht mag dieses "trotzdem" andeuten, wie sehr Therese selber mit der Trockenheit/den Gebetsschwierigkeiten ringt. Hat sie evtl. Sorge vor Gottes Mißfallen? Die Gelassenheit des MsA fehlt hier noch.

"Heute war ich noch mehr als gestern, wenn das möglich ist, ohne jeden Trost." Aber sie dankt Jesus, der das gut für sie findet. Therese begreift es als Akt der Losschälung, damit sie nicht bei der Tröstung verharrt, sondern Jesus allein sucht. Dieser will, daß alles für ihn sei, alles, "selbst dann, wenn ich nichts fühle, das ich ihm schenken kann. Dann gebe ich ihm [...] dieses Nichts! ..." Schenkt Jesus ihr auch keinen Trost, so doch "einen so großen Frieden".

Therese ist hineingetaucht in Dunkelheit Aber: "Wenn Sie wüßten, wie groß meine Freude darüber ist, keine Freude zu haben, um Jesus Freude zu machen! ... Es ist eine geläuterte Freude, (aber keineswegs fühlbar)."

Thereses Mitteilungen aus den Einkleidungsexerzitien enthalten häufig das Bild des kleinen Balls  bzw. des Spielzeugs Jesu. Der kleine Ball überläßt sich den wechselhaften Launen des Jesuskindes, z.B. als es das Einkleidungsdatum zu überwältigend findet und noch verschiebt. Es duldet nicht, daß Therese sich an irgend etwas Geschaffenes hängt.

Die Exerzitien vor der Profeß bringen Therese wieder keinen Trost: "Gänzliche Trockenheit, beinahe Verlassenheit waren mein Teil". Therese beschreibt die Reise mit ihrem Verlobten folgendermaßen: "Da nahm Jesus mich bei der Hand; Er ließ mich in einen unterirdischen Gang eintreten, wo es weder kalt noch warm ist, [...] wo ich nur gedämpftes Licht sehe, das Licht, das die gesenkten Augen im Antlitz meines Verlobten ausstrahlen! ... Mein Verlobter sagt nichts zu mir, und ich sage nichts zu ihm, außer daß ich ihn mehr liebe als mich selbst".

Therese ist "glücklich darüber, keinerlei Trost zu haben", denn sie will ihrem Verlobten nicht wegen seiner Gaben lieben, sondern allein seinetwegen: "Er allein ist so schön, so herrlich! ... auch wenn Er schweigt ... auch wenn er sich verbirgt!"

Therese, die nie an ihrer Berufung gezweifelt hatte, wird am Abend vor der Profeß von einem panischen Zweifel überfallen: Es "erschien mir meine Berufung wie ein Traum, ein Wahngebilde". Sie wolle die Oberen täuschen. "Meine Finsternis war so groß, daß ich nichts sah und nichts verstand als nur dies Eine: ich hatte keine Berufung! ...Ach! wie soll ich meine Seelenangst beschreiben?...". Da Therese lieber, wenn es Gottes Wille sei, in die Welt zurückkehren will, als dem eigenen Willen folgend im Karmel bleiben, eröffnet sie ihre Versuchung ihrer Novizenmeisterin, die sie beruhigt, und ihrer Priorin, die sie nur auslacht.

"Was ich im Karmel tun wollte, erklärte ich zu Füßen Jesu in der Opfergestalt der Hostie bei der Prüfung, die der Profeß vorausging: 'ich bin gekommen, um Seelen zu retten und besonders um für die Priester zu beten.' Will man ein Ziel erreichen, so muß man die Mittel ergreifen; Jesus ließ mich verstehen, daß Er mir Seelen durch das Kreuz schenken wolle, und die Anziehungskraft des Leidens wuchs für mich im Maße, wie das Leiden zunahm."

3.5. Andacht zum Heiligen Antlitz

3.5.1. Krankheit des Vaters

Am 23.6.1888 verschwindet Herr Martin, der an einer schweren Hirnarteriosklerose leidet, spurlos und wird erst vier Tage später in Le Havre wiedergefunden. Das Gerede der Leute dringt bis in den Karmel, manche machen Therese für die Geisteskrankheit des Vaters verantwortlich, die Trauer über ihren frühen Karmeleintritt habe ihn verrückt gemacht.

Im Februar 1889 erreicht die Geisteskrankheit von Herrn Martin eine schwere Krise, so daß er am 12.2. in das Sanatorium Bon-Sauveur in Caen eingewiesen werden muß. Dort wird Herr Martin für drei Jahre interniert sein. "Der verehrte 'Patriarch' lebt unter den 'Verrückten'."  Welchen Sinn kann eine solche Prüfung haben? Thereses ganze Noviziatszeit steht unter dem Zeichen der Krankheit ihres Vaters.

Seit Ende August 1888 taucht immer wieder in Thereses Briefen die Deutung auf, geschicktes Leid als Zeichen der Bevorzugung, als Zeichen der Liebe Gottes zu verstehen. "Da fühlte ich, daß das Beste, was er uns geben kann, das Leiden ist, daß er es nur seinen erwählten Freunden auferlegt." Alle Schätze des Weltalls wären "nicht zu vergleichen mit dem geringsten Leiden." Die Prüfung in dem, was ihnen auf Erden am teuersten ist dient dazu, den Himmel zu verdienen, da "man leiden muß, um das ewige Leben zu gewinnen". Die Krankheit des Vaters erscheint als "Beweis" der Liebe Gottes zu ihrem Vater, "weil Gott immer die heimsucht, die er liebt. Im Himmel wartet ein herrlicher Thron auf den Vater. Ich glaube wohl, der liebe Gott schickt auf Erden solches Leid, damit der Himmel seinen Erwählten um so herrlicher erscheint." Denn in Offb 21,4 heißt es, er wische am Jüngsten Tag alle Tränen ab, "und zweifellos: je mehr Tränen es zu trocknen gibt, desto größer wird die Tröstung sein!"

Zum Motiv der Bevorzugung und der Herrlichkeit im Himmel tritt später stärker das Motiv der Ähnlichkeit mit Jesus.

Wie ungewöhnlich und 'drastisch' Thereses Gedanken sind, verdeutlicht ihr erster Brief an Céline (gut zwei Wochen) nach der Einweisung des Vaters: "Ach! liebste Schwester, weit entfernt, mich bei Jesus über das Kreuz zu beklagen, das er uns schickt, kann ich die unendliche Liebe nicht begreifen, die ihn dazu bringt, uns so zu behandeln ... Unser lieber Vater muß von Jesus sehr geliebt sein, daß er in dieser Weise leiden muß. Aber findest Du nicht, das das Unglück, das ihn trifft, geradezu die Vervollständigung seines schönen Lebens ist? ... Ich fühle, [...] daß ich Dir wahre Torheiten sage, aber was tut's, ich denke noch viel anderes über die Liebe Jesu, das vielleicht noch drastischer ist als das, was ich Dir sage ..."

Gott hat Thereses Vater "eine Prüfung geschickt, die seiner würdig ist".

3.5.2. Heiliges Antlitz und Jesaja 53

Von Jugend an wurde Therese die Verehrung des Heiligen Antlitzes, wie es auf dem Schleier der Veronika dargestellt ist, nahegebracht. Seit April 1885 war Therese Mitglied der Sühnebruderschaft vom Heiligen Antlitz in Tours.

Die Andacht zum Heiligen Antlitz hatte sich im 19. Jahrhundert aufgrund von Offenbarungen an die Schwester Marie de Saint-Pierre (1816-1848) entwickelt und war von Herrn Dupont (1797-1876) verbreitet worden "und zwar zum Zweck der Sühne für die Beleidigungen und Schmähungen, die das Antlitz des Erlösers entstellten und immer noch entstellen".

Thereses Verehrung des Heiligen Antlitzes blickt entgegen der damals üblichen Sichtweise nicht zunächst auf menschliche Sühneleistungen. "Was sie fasziniert, ist das Bewußtsein, einfach von den Augen Jesu angeschaut zu sein." Dies befriedigt ihr Bedürfnis nach liebender Zuwendung, während der Krankheit des geliebten Vaters.

Im Karmel wird Therese durch Schwester Agnès in diese Verehrung eingeführt, das entstellte Antlitz müsse sie ermuntern in Demut und im Verborgenen zu leben.

So will Therese wie ein Sandkorn sein, Bild der Kleinheit, Armut, Unscheinbarkeit und Verborgenheit. Sein Platz ist "unter den Füßen aller". Trotz seiner Kleinheit hat das Sandkorn aber sehr große Träume vom Martyrium und der Bekehrung aller Sünder und Rettung aller Seelen aus dem Fegfeuer.

Selbst Demütigung wäre noch zuviel Ehre für das Sandkorn, stattdessen wünscht es: "VERGESSEN zu werden, nichts zu gelten! ..." Allen Geschöpfen unbekannt, will es nur von Jesus gesehen sein, an seinem Antlitz verborgen sein und wünscht seine Tränen zu trocknen. Auf Erden will das Sandkorn verachtet sein.

Am 10.1.1889, dem Tag ihrer Einkleidung, fügt Therese auf einer Bildwidmung erstmals ihrer Unterschrift die Benennung 'vom Heiligen Antlitz' hinzu. "Um die Braut Jesu zu sein, muß man Jesus ähnlich sein, Jesus ist blutüberströmt, er ist mit Dornen gekrönt!" Jesus ist ein "Blutbräutigam". Zur Ähnlichkeit mit dem Bräutigam gehört es auch, in Schwäche unter dem eigenen Kreuz zusammenzubrechen, "unser Kreuz SCHWACH zu tragen", denn auch Jesus ist dreimal gefallen. "Das Glück ist nur im Leiden, und zwar im Leiden ohne jeden Trost! ..."

"Glauben wir nicht, daß wir lieben können, ohne zu leiden, ohne viel zu leiden ... Unsere arme Natur ist da! ... Und sie ist nicht umsonst da! [...] 'Jesus hat mit Traurigkeit gelitten!  Würde die Seele ohne Traurigkeit überhaupt leiden!'... Und wir möchten großmütig, großherzig leiden! [...] Welche Illusion! ..." Es geht um das unbekannte Martyrium, ohne Ehre und Triumph.

Im Schauen Jesu Antlitzes, seiner Wunden, seiner erloschenen, gesenkten Augen, sieht Therese Jesu Liebe zu uns: "Schau Jesus ins Antlitz ... Da wirst Du sehen, wie er uns liebt!".

In dieser Zeit ist häufig von den Tränen Jesu die Rede. "Die Tränen, die er der Bösen wegen vergießt, werden durch unsere arme und schwache kleine Liebe getrocknet". Therese sehnt sich danach, Jesus zu trösten.

Tatsächlich sind Jesu Tränen auf dem 'Schweißtuch der Veronika' deutlich zu sehen.

"Ja, Jesu Antlitz ist strahlend, doch wenn es schon inmitten von Verwundungen und Tränen so schön ist, wie wird es erst sein, wenn wir es im Himmel erblicken? ..."

Im Juli 1890 schickt Therese an Céline "ein Blatt, das meiner Seele sehr viel sagt", mit Abschriften aus Jesaja und Johannes vom Kreuz. Therese entdeckt Jes 53, die Worte über den leidenden Gottesknecht als Schlüssel zum Verständnis des Lebens Jesu. Wenige Wochen vor ihrem Tod wird sie sagen: "Diese Worte von Isaja: 'Wer glaubt deinem Wort ... er ist ohne Schönheit und Gestalt ... usw.' haben den Grund gelegt für meine Andacht zum Heiligen Antlitz, oder besser gesagt, für meine ganze Frömmigkeit." Therese vertieft die Andacht "in sehr persönlicher Weise". Indem sie eine Verbindung zum Gottesknechtlied (Jes 53) herstellt, entdeckt Therese im Heiligen Antlitz, das Zusammenfallen von höchster Schönheit und Gesicht ohne Schönheit. Im Schmerzensantlitz erkennt sie Jesu Demütigung und Selbsterniedrigung. Therese ist betroffen von Jesu Einsamkeit und Verkanntwerden, von seinem Leid und Ausgesetztsein und von seiner verborgenen Schönheit. Therese erkennt: "Sein Gesicht war wie verhüllt! [Jes 53,3] ... Céline, das ist es heute noch, denn wer versteht Jesu Tränen! [...] Céline, mir scheint, das Vergessenwerden schmerzt ihn am meisten! ..." Die Tränen Jesu beglücken Therese durch ihren "verborgenen Liebreiz": "Ah, Jesu Tränen , welches Lächeln! ..."

Durch die Worte über den leidenden Gerechten gelangt Therese zu einem tiefen Verständnis der geistigen Umnachtung ihres Vaters. Worte können nicht wiedergeben, was sie bei dieser Einsicht empfindet. Er ist der leidende Gerechte.

"Jesus hat uns das bestausgesuchte Kreuz geschickt, das er in seiner unermeßlichen Liebe zu erfinden vermochte ... Wie sollten wir uns beklagen, wenn er selbst als ein von Gott geschlagener und demütigter Mann angesehen wurde! [Jes 53,4] ..."

Thereses Vaterbild hat schon von Kindheit an ihr Gottesbild geprägt. Wenn sie an ihn dachte, dachte sie automatisch an den lieben Gott. "Aber die volle Transparenz erhält dieses Vaterbild erst, da das Geheimnis des Leidens den heiligmäßigen Mann zu umschatten begann." Da der Geisteszustand von Herrn Martin keine Kommunikation mehr erlaubt, schreibt sie: "Jetzt sind wir Waisen. Aber wir können mit Liebe sprechen: 'Vater unser im Himmel'." Das Haupt von Herr Martin ist durch Leiden verhüllt. Im leidenden Gottesknecht findet Therese das Schicksal ihres Vaters und später auch ihr eigenes vorgezeichnet. "Als das Idealbild ihres Vaters in seinem geistigen Verfall jede Sichtbarkeit verliert, entdeckt Therese darin mit Hilfe des verkannten Gottesknechtes von Jes 53 ein Jesusbild, das ihre Lähmung überwinden hilft. Sie entgrenzt damit das erdrückende Gewicht ihrer Vorgaben, indem Therese ihren Vater und sich wie Jesus von der Sucht nach Normalität verkannt sehen kann." So geht ihr ein tieferer Sinn auf, während ihre Umgebung im Leid ihres Vaters eine Strafe Gottes und menschliches Versagen vermutet. Nun ist es nicht mehr Gott Vater sondern der Sohn, der ihr im leiblichen Vater aufstrahlt. So wird "bis in ihre Klosterjahre [...] das Bild und Schicksal des leiblichen Vaters für Therese zur Versinnbildung  der göttlichen Geheimnisse".

Auch in ihrer eigenen Krankheit wird Therese sich immer wieder mit dem leidenden Jesus identifizieren. "Für Therese verlangt die Liebe Ähnlichkeit mit dem Geliebten. Nur von hier aus ist ihr Wunsch nach Leiden zu verstehen." Wenn nun Jesu Schönheit verborgen war, so will Therese, daß auch ihr eigenes Antlitz verborgen, daß auch sie selbst ohne Schönheit und unbekannt sei.

3.6. Bücher (Johannes vom Kreuz)

Wegen ihrer Schläfrigkeit beim Gebet, versucht Therese sich während der Betrachtungszeit im Kloster durch Lesen wachzuhalten.

Zu Beginn ihrer Klosterzeit liest sie ein Buch von Pater Surin. Später vertieft sie sich in die Werke des hl. Johannes vom Kreuz. "Oh! wieviele Erleuchtungen habe aus  den Schriften Unseres Vaters, des Hl. Johannes vom Kreuz, geschöpft!'.... Im Alter von 17 und 18 Jahren bildeten sie meine einzige geistige Nahrung". Besonders die Konzentration auf die Liebe spricht Therese an: "Ihre Lektüre des spanischen Ordensvaters ist jedoch eigenwillig, seine Systematik des mystischen Aufstiegs berührt sie kaum und sie zitiert nur selten die Prosateile seiner großen Werke. Johannes steht für sie vor allem für die Konzentration auf die Liebe allein, in der sie sich ganz wiederfindet. Die ganze Kühnheit bräutlicher Mystik, das Erlebnis, in 'Jesus alle Dinge zu haben', die Faszination, ihr ganzes Leben als Vorspiel der Einung mit Jesus wahrzunehmen, diese Nahrung hat sie von Johannes empfangen." Sr. Elia von Jesus weist darauf hin, daß die Werke des Johannes vom Kreuz Therese den Zugang zur Bibel erschließen. Bei ihm lerne sie, daß das Schriftverständnis aus der Liebe zu Gott erwächst. Je mehr man Jesus liebt, desto mehr will man ihn kennenlernen, desto empfänglicher wird man für alles, was von ihm spricht. 

3.7. Seelenführung und Skrupel

Am 28.5. legt Therese bei ihrem neuerwählten Seelenführer Pater Pichon eine Generalbeichte ab, "am Ende sagte mir der Pater diese Worte, die trostreichsten, die je an das Ohr meiner Seele drangen: 'Im Angesicht Gottes, der seligsten Jungfrau und aller Heiligen, ERKLÄRE ICH, DASS SIE NIE EINE EINZIGE SCHWERE SÜNDE BEGANGEN HABEN.'"

Diese feierliche Versicherung mag darauf hindeuten, daß der Pater, der selbst einst unter Skrupeln gelitten hat, jemand beruhigen will, der zu Skrupeln neigt. Therese selber sagt: "Ich hatte so sehr befürchtet, mein Taufkleid befleckt zu haben".

Der Pater fügt hinzu: "danken Sie dem Lieben Gott für das, was er an Ihnen getan hat, denn verließe er Sie, so würden Sie, statt ein kleiner Engel zu sein, ein kleiner Teufel werden". Durch die Worte Pater Pichons wird Therese endgültig befreit von der Seelenpein, die sie seit fünf Jahren gequält hat, ihre Krankheit damals war nicht simuliert.

Bereits in einem Brief Thereses vom Juli-August 1889 läßt sich möglicherweise ein Hinweis auf erneute Skrupel finden: Sie wünscht, am Antlitz Jesu verborgen zu sein. "Dort hätte das arme Atom nichts zu fürchten, es wäre sicher, daß es nicht mehr sündigt! ..." Immer noch wird Therese selbst von Furcht vor der Sünde und Anfällen von Skrupeln geplagt, wie man aus einem Brief von Pater Pichon vom Oktober 1889 folgern kann, in dem er Therese im Namen Gottes verbietet, ihren Gnadenstand in Frage zu stellen. Während ihrer Profeßexerzitien bittet Therese Schwester Agnès vor einer Generalbeichte bei Abbé Youf: "Beten Sie, daß Jesus mir den Frieden läßt, den er MIR GESCHENKT HAT." Ihr Friede scheint also gefährdet zu sein und Abbé Youf scheint kaum geeignet, Therese zu beruhigen. "Als sie ihm einmal gesteht, daß sie in der Messe vor Erschöpfung den Schlaf nicht bezwingen kann, weist er sie streng zurecht und sagt ihr, daß sie dadurch Gott beleidige." Therese, die lieber sterben möchte, als das Kleid ihrer zweiten Taufe zu beflecken, schreibt allerdings im September 1890: "Doch es scheint mir, Jesus kann wohl die Gnade schenken, ihn nicht mehr zu beleidigen oder besser, ... nur noch solche Fehler zu machen, die ihn nicht BELEIDIGEN, sondern  die einen nur demütigen und die Liebe stärken." Erst im Oktober 1891 wird sie von Pater Prou die Bestätigung erhalten.

Das Problem der Skrupulosität ist für Therese selbst noch nicht abgeschlossen, als sie die Briefe an ihre unter Skrupeln leidende Cousine schreibt.

Im Mai 1888 wird Pater Pichon Thereses Seelenführer, aber sie hat Schwierigkeiten, sich ihm zu eröffnen. Der neuerwählte Seelenführer äußert die Worte: "'Mein Kind, der Herr sei stets Ihr Oberer und Ihr Novizenmeister.' Dies war Er in der Tat und zudem 'Mein Seelenführer'." Schon wenige Monate später wird Pater Pichon von seinen Oberen in die Mission nach Kanada entsandt, wohin er sich am 3.11.88 einschifft. "Nunmehr darauf beschränkt, von ihm einen Brief jährlich zu erhalten, auf zwölf, die ich ihm schrieb, wandte sich mein Herz sehr schnell dem Meister aller Meister zu, und Er war's, der mich in jener Wissenschaft unterwies, die den Gelehrten und Weisen verborgen ist, die Er aber den Kleinsten zu offenbaren geruht..."

3.8. Kommunionbriefe

Therese schreibt zwei Briefe an ihre Cousine Marie Guérin, die in Pariser Museen von den 'Nuditäten' verwirrt worden ist. Von Skrupeln gequält, wagt sie nicht mehr die heilige Kommunion zu empfangen. Therese antwortet Marie, indem sie auf ihre eigenen Erfahrungen bezugnimmt, mit großer Festigkeit: "Du hast auch nicht den Schatten von etwas Bösem getan. Ich weiß so gut, was derartige Versuchungen sind, daß ich es Dir unbesorgt versichern kann; übrigens sagt es mir Jesus auch im Grund meines Herzens ..."

Therese rät, diesen Versuchungen keine Aufmerksamkeit zu schenken: Wenn es dem Teufel nicht gelinge, eine Seele zum Sündigen zu verleiten, so wolle er sie wenigstens glauben machen, sie hätte gesündigt; und könne er nicht selber in sie eindringen, so wolle er sie wenigstens ihres Meisters Jesu berauben. "Ist es dem Teufel gelungen, eine Seele von der Hl. Kommunion fernzuhalten, dann hat er alles gewonnen ... Und Jesus weint!..." Es schmerze Jesus, daß Marie die Kommunion unterlassen habe, denn "Er brennt von Verlangen, in Dein Herz zu kommen ... Höre nicht auf den Dämon, verlache ihn und empfange ohne Furcht den Jesus des Friedens und der Liebe!..." Mögliche Einwände Maries, doch ein Sakrileg zu begehen, weist sie entschieden zurück: "Doch, Deine arme Therese weiß wohl. Ich sage Dir, daß Du ohne Furcht Deinen einzigen wahren Freund empfangen kannst ... Auch sie hat das Martyrium der Skrupel durchgemacht, aber Jesus gewährte ihr die Gnade, trotzdem zu kommunizieren, selbst dann, wenn sie glaubte, schwere Sünden begangen zu haben ..." Therese mahnt, keine Furcht vor dem Eucharistieempfang zu haben, ist es doch Begegnung mit dem Freund, dem Jesus der Liebe. "Was Jesus verletzt, [...] ist der Mangel an Vertrauen!..." Gerade im häufigen Kommunionempfang sieht Therese das "einzige Heilmittel " gegen die Skrupel. Für Therese ist Eucharistie also "nicht Belohnung der Treue, sondern sie ist Nahrung für die Schwachen und  Sünder".

3.9. Heiligkeit

Ihr Vater scheint für Therese ein Inbegriff der Heiligkeit zu sein: "Wenn ich an Dich denke, mein geliebtes Väterchen, dann denke ich ganz von selbst an den lieben Gott, denn es scheint mir unmöglich, auf Erden jemand Heiligeren zu sehen als Dich." Therese hat den Wunsch, eine große Heilige zu werden. Der einzige Weg, heilig zu werden, ist Demütigung. "Die Heiligkeit besteht nicht darin, schöne Dinge zu sagen, sie besteht nicht einmal darin, sie zu denken oder zu fühlen! ... Sie besteht darin zu leiden, und an allem zu leiden.  'Die Heiligkeit!  Sie muß mit der Spitze des Schwertes erobert werden.  Man muß leiden ... man muß mit dem Tode ringen! ' [Exerzitienvortrag von Pater Pichon]..." Reicht Jesus z.B. dem Onkel das Kreuz oder verlangt seine Liebe alles von Céline, so behandelt er sie wie die großen Heiligen. Die Radikalität der Forderung der Liebe Jesu, die alles verlangt, bringt Therese in Zusammenhang damit, daß sie der Heiligkeit des Menschen (hier Célines) keine Grenze setzen will. Im Mai 1890 schreibt Therese, daß die Weisung Jesu selbst sie in ihrem unendlichen Verlangen nach Vollkommenheit bestärkt: "Céline, glaubst Du, die hl. Teresa hätte mehr Gnade empfangen als Du! ... Von meiner Seite möchte ich nicht sagen, Du sollst ihre seraphische Heiligkeit anstreben, sondern vollkommen sein, wie Dein himmlischer  Vater vollkommen ist! [Mt 5,48] ... Ah! Céline, unser unendliches Verlangen ist also weder Traum noch Hirngespinst, weil Jesus selbst uns diese Weisung gibt!..."

3.10. Seelen retten

Die Beziehung zu Céline, ihrem "anderen Ich", wird trotz der Trennung durch die Karmelgitter noch intensiver als zuvor. "Wie einst im Belvédère betrachteten sie ahnungsvoll die Dinge der Ewigkeit, und um dieses Glück ohne Ende bald genießen zu können, wählten sie zu ihrem einzigen Anteil auf Erden 'Leiden und Verachtung' [Anspielung auf Johannes vom Kreuz]".

Immer wieder mahnt Therese, die kürzesten Augenblicke des Lebens auszunützen um Schätze für die Ewigkeit aufzusammeln/bzw. dahin zu wirken, daß Jesus geliebt werde. Angesichts des Psalmwortes, daß tausend Jahre in den Augen des Herrn wie ein Tag sind (vgl. Ps 89,4) folgert Therese: "Welche Geschwindigkeit, oh! ich will tüchtig arbeiten, solange der Tag des Lebens noch leuchtet, denn dann wird die Nacht kommen, da ich nichts mehr tun kann [vgl. Joh 9,4]."

Immer wieder, besonders in den Briefen an Céline äußert sich Thereses Drang, Seelen zu retten. Therese erkennt, daß Jesus um unsere Traurigkeit und Angst "bettelt [...]. Er braucht sie für die Seelen, für unsere Seelen". Thereses vorwiegendes Motiv scheint die Tröstung Jesu zu sein, die Tränen zu trocknen "die die Sünder ihn vergießen lassen ... Oh! ich WILL nicht, daß Jesus am Tag meiner Verlobung betrübt ist - ich möchte alle Sünder der Welt bekehren und alle Seelen des Fegfeuers erretten! [vgl. das Gebet zur Profeß] ..." Unsere Leiden können - Jesus dargebracht - Seelen retten. "Wir sind so gering ... Und dennoch will Jesus, daß das Heil von Seelen von unsern Opfern und unserer Liebe abhängt, er bettelt uns um Seelen ..." "Die Seelen gehen verloren wie Schneeflocken, und Jesus weint [...] Seien wir Apostel ... Retten wir vor allem die Seelen der Priester. Diese Seelen müßten durchscheinender sein als Kristall ... Ach, wie viele schlechte Priester, Priester, die nicht heilig genug sind ... Beten wir, leiden wir für sie, und am Jüngsten Tag wird uns Jesus dankbar sein."  In diesem Brief an Céline vom Juli 1889 erscheint erstmals das 'Gebet für die Priester' - dessen Notwendigkeit ihr auf der Romreise aufging - in Thereses Schriften. Das Anliegen wird in den folgenden Monaten in den Briefen an Céline öfters wiederkehren.

Anklingend an Johannes vom Kreuz erklärt Therese: "Jesus ist krank, und man muß sagen, die Krankheit der Liebe wird nur durch Liebe geheilt!" Doch Therese vertauscht die Rollen, anders als bei Johannes vom Kreuz, bei dem die Seele krank vor Liebe ist, ist es bei Therese Jesus selbst, der dürstet nach der Liebe seines Geschöpfes. "Er bedarf so sehr der Liebe, und er ist so durstig, daß er von uns den Tropfen Wasser erwartet, der ihn erfrischen soll! ..." Es geht darum, Jesu Durst zu stillen, seinen Durst nach Seelen.

Jesus lieben und dahin wirken, daß er geliebt werde, dieses Motto, diese Sendung formuliert sie bereits im Oktober 1889: "In der Nacht, in der einzigen Nacht des Lebens, die es nur einmal gibt, gilt es nur eines zu tun: lieben, Jesus lieben mit der ganzen Kraft unseres Herzens, und ihm Seelen zu retten, damit er geliebt werde ... O, dahin wirken, daß Jesus geliebt werde!"

Thereses Traum ist das Martyrium, "wenn nicht durch das Blut, so muß es durch die Liebe geschehen". "Gott ist bewunderungswürdig, vor allem aber ist er liebenswert, lieben wir ihn also [...] Ach, es ist eine große Liebe, Jesus zu lieben, ohne die Süßigkeit dieser Liebe zu fühlen ... Das ist ein Martyrium ..."

Sie strebt danach und spornt ihre Schwestern dazu an, "die Palme der heiligen Agnès" zu erlangen. Auch 'Nadelstiche', wie z.B. die demütigenden Bemerkungen über Herrn Martins Krankheit, können zum Martyium werden.

3.11. Himmel

Von unserem Leben hängt die im Himmel bereitete Krone ab. Im Juli 1888 schreibt Therese noch: "Das Sandkorn will trotz seiner Kleinheit sich eine schöne Ewigkeit vorbereiten.  Auch für die Seelen der Sünder will es das tun, aber es ist noch nicht klein und leicht genug." Später einmal wird Therese nur noch den Vielgeliebten und nicht mehr die eigene schöne Ewigkeit im Blick haben.

Immer wieder zitiert Therese bezüglich des Himmels Arminjon, insbesondere die Stelle, wo Gott seine Erwählten empfängt: "Nun ist es an mir".

Ein einziger Akt der Liebe hat Folgen für die Ewigkeit: "er wird uns ihm [e.A.: Jesus] für die ganze Ewigkeit näher bringen! ..." Häufig äußert Therese in Briefen, daß ihre Verwandten erst im Himmel erfahren werden, wie sehr Therese sie liebt. In der Sprache dieser Welt vermag Therese die tiefen Empfindungen ihres Herzens nicht auszudrücken: "Könnte ihr Herz schreiben, es SPRÄCHE etwas ganz anderes. Aber es muß sich dieser kalten Feder anvertrauen, die nicht wiederzugeben vermag, was es empfindet."

Der Himmel erscheint als Ort vollkommener Verständigung: "Ich kann Ihnen nicht alles sagen, was ich denke ... Ach! der HIMMEL!!!!!! Dort genügt ein einziger Blick, und alles ist gesagt und verstanden! ..."

3.12. Bittgebet

Viele ihrer Briefe sprechen von Gewährung von oder Bitte um Fürbitte. "Wenn Sie wüßten, meine geliebte Tante, wie Ihre kleine Tochter an Ihrem Namenstag für Sie beten wird. Ach! ich bin so unvollkommen, daß meine armen Gebete gewiß nicht viel Wert haben. Aber es gibt Bettler, die sich so aufdrängen, daß sie erhalten, was sie wünschen; ich mache es wie sie, und der liebe Gott kann mich nicht mit leeren Händen wegschicken [vgl. Lk 11,5-8] ..." Auch wenn sie Jesus viel zu sagen hat, wird ihr das nicht schwerfallen, denn "ein einziger Seufzer sagt ihm alles."

Jesus erfüllt sogar Thereses Wunsch nach Schnee an ihrem Einkleidungstag, so daß die Natur gleich ihr in weißem Festgewand erscheint. Als man sich über diesen sonderbaren Wunsch verwundert, meint Therese: "Desto besser! Das ließ die unbegreifliche Herablassung des Bräutigams der Jungfrauen nur noch klarer hervortreten..."

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