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auf der Homepage von Ruth und Frank Effertz

 

4. SEPTEMBER 1890 BIS APRIL 1896

4.1. Gebetsapostolat

Therese, darüber nachsinnend, was sie für die Rettung der Seelen tun könne, erhält Antwort in der Bibelstelle: "'Wahrhaftig, die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige. Bittet daher den Herrn der Ernte, daß Er Arbeiter sende'[Mt 9,37f]. Welches Geheimnis! ... Ist Jesus nicht allmächtig? Gehören die Geschöpfe nicht dem, der sie erschaffen hat? Warum sagt Jesus dann: 'Bittet den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter sende.' Warum? ... Ah! weil Jesus eine so unbegreifliche Liebe zu uns hat, daß Er will, wir sollen mit ihm Anteil am Heil der Seelen haben. Er will nichts ohne uns tun. Der Schöpfer des Weltalls wartet auf das Gebet einer armen kleinen Seele, um die anderen Seelen zu retten, die gleich ihr um den Preis seines Blutes erlöst sind." Thereses karmelitanische Berufung ist es nicht, auf die reifen Getreidefelder zur Ernte hinauszugehen, sondern Mose gleich auf dem Berg zu beten (vgl. Ex 17,8-13): "Bittet mich um Arbeiter, und ich werde sie schicken. Ich erwarte nur ein Gebet, einen Seufzer eures Herzens! ... Ist das Apostolat des Gebetes nicht gewissermaßen erhabener als das Apostolat des Wortes? Unsere Sendung als Karmelitinnen ist es, Arbeiter für die Verbreitung des Evangeliums heranzubilden, die Millionen von Seelen retten, denen wir Mütter sein werden ..."

4.1.1. Gebet für einen abtrünnigen Priester

Bei dem kanonischen Examen vor der Profeß erklärt Therese, was sie im Karmel tun wolle: "Ich bin gekommen um Seelen zu retten und besonders um für die Priester zu beten." Drei Priestern wird Therese sich ganz besonders zuwenden: den beiden Missionaren Pater Maurice Bellière und Pater Adolphe Roulland sowie dem ausgetretenen Ordensmann Pater Hyacinthe Loyson.

Therese fordert Céline zum Gebet für die Priester auf. Pater Hyazinth Loyson gilt als öffentlicher Sünder, der seinem Amt untreu geworden ist. Während die klerikalen Zeitungen ihn als "abgefallenen Mönch" bezeichnen, betet Therese für ihren "Bruder". Obwohl sie meint, daß Pater Hyacinthe Loyson "sehr schuldig [ist], vielleicht schuldiger, als je ein Sünder war, der sich bekehrte", hofft sie auf seine Bekehrung: "Kann Jesus nicht einmal etwas tun, was Er noch nie getan hat? Und wenn Er es nicht wünschte, hätte Er dann in das Herz seiner armen kleinen Bräute einen Wunsch hineingelegt, den er nicht verwirklichen könnte? ... Nein, es ist gewiß, daß er mehr als wir danach verlangt, dieses verirrte Schaf in den Schafsstall zurückzuführen." Therese will nicht nachlassen mit Céline für ihn zu beten, "das Vertrauen wirkt Wunder". Noch ihre letzte Heilige Kommunion am 19.8.1897, dem Fest des heiligen Hyazinth, wird Therese für ihn aufopfern.

4.1.2. Gebet für einen Missionar

Am 17.10.95 übernimmt Therese im Auftrag von Mutter Agnès das Gebetsapostolat für den Seminaristen Maurice Bellière, der Missionar werden will. Maurice Bellière hatte auf Eingebung der Hl. Teresa eine Schwester erbeten, die sich dem Heil seiner Seele widme und seine Missionstätigkeit in Gebet und Opfer unterstütze. Therese versucht nun ihren "Eifer zu verdoppeln".

4.2. Seelenführung

4.2.1. Jesus als Seelenführer

Jesus selbst ist Thereses Seelenführer. Dies ist aufgrund ihres so vertrauten Umgangs mit Jesus möglich. Im Karmel soll ihr Pater Pichon als Seelenführer dienen, aber bereits kurz nach ihrem Eintritt wird dieser am 3.11.88 nach Kanada in die Mission gesandt. Nun auf Briefkontakte beschränkt, entfällt auf zwölf Briefe von Therese nur einer jährlich von P. Pichon. So "wandte sich mein Herz sehr schnell dem Meister aller Meister zu, und Er war´s, der mich in jener Wissenschaft unterwies, die den Gelehrten und Weisen verborgen ist, die Er aber den Kleinsten zu offenbaren geruht ..." Quelle von Thereses Wissenschaft der Liebe sind also vor allem das Evangelium und der Dialog mit Jesus. "Um diese mystische Quelle zu betonen, spricht Balthasar von einer gewissen 'Traditionslosigkeit' bei Therese." Die Wissenschaft Thereses wird "unmittelbar vom Heiligen Geist gelehrt und durch Erfahrung exemplarisch gelebt". Therese hat nie systematisch Theologie gelernt. Aber sie hat "im Gespräch mit Jesus ein tiefes Verständnis der Wahrheit bekommen". Therese will ganz offen, ganz hörend sein, für die Wahrheit. Jesus allein lehrt sie, was sie tun soll. "Jesus bedarf keiner Bücher noch Lehrer, um die Seelen zu unterweisen; Er, der Lehrer der Lehrer, unterrichtet ohne Wortgeräusch ... Nie hörte ich ihn sprechen, aber ich fühle, daß Er in mir ist, jeden Augenblick, Er leitet mich und gibt mir ein, was ich sagen oder tun soll. Ich entdecke gerade in dem Augenblick, da ich dessen bedarf, Klarheiten, die ich noch nicht geschaut hatte, und zwar sind sie zumeist nicht während der Stunden des Gebetes am reichlichsten, sondern eher bei den gewöhnlichen Beschäftigungen meines Tagewerkes ..." 

Therese ist sich ihrer inneren Führung in hohem Maße bewußt, sie weiß, daß sie von Erleuchtungen 'überströmt' wird, und ringt darum, diese auch in die Tat umzusetzen.

"Tatsächlich lassen die Seelenführer einen in der Vollkommenheit voranschreiten, indem sie einen zu großer Zahl von Tugendakten veranlassen, und sie haben recht. Aber mein Seelenführer ist Jesus; er lehrt mich nicht, meine Tugendakte zu zählen. Er lehrt mich, alles aus Liebe zu tun, Ihm nichts zu verweigern, zufrieden zu sein, wenn Er mir eine Gelegenheit gibt, Ihm meine Liebe zu beweisen. Dies aber geschieht im Frieden, in der Hingabe. Jesus tut alles, und ich tue nichts."  

4.2.2. Ausbildung der Novizinnen

Als man Therese mit der geistlichen Führung der Novizinnen betraut, erkennt sie, daß dies ihre Kräfte übersteige, und findet dann das Mittel zur Ausführung ihres Auftrages im Gebet: "Herr, ich bin zu klein, um deine Kinder zu nähren; willst du ihnen durch mich austeilen, was jedem frommt, so fülle meine kleine Hand, und ohne deine Arme zu verlassen, ohne den Kopf zu wenden, werde ich deine Schätze der Seele geben, die mich um ihre Nahrung bitten wird." Es geht um das Zusammenwirken mit Gott: Sie betont, daß sie auf Gott vertraut und sich nicht im mindesten auf ihre eigenen Kräfte verlassen habe. "Seitdem ich begriffen habe, meine Mutter, daß ich aus mir selbst nichts wirken kann, schien mir die Aufgabe [...] nicht mehr schwierig, ich fühlte, daß nur Eins nottut: mich mehr und mehr mit Jesus zu vereinen, und daß Das übrige mir hinzugegeben werde." Das Wirken aus der Vereinigung mit Jesus heraus schützt sie vor einem blinden Aktivismus.

Therese hat Hochachtung vor der Individualität der verschiedenen Seelen bzw. der Einmaligkeit ihres jeweiligen Weges mit Gott. Als geistlicher Begleiter darf man die Seelen nicht auf seinen eigenen Weg zwingen wollen. Stattdessen muß "man seine Neigungen, seine persönlichen Meinungen völlig vergessen und die Seelen auf dem Weg führen [...], den Jesus ihnen vorgezeichnet hat."

Aus Liebe zu Schwester Marthe trägt Therese sogar wieder, wie in ihrer Kindheit, einen Rosenkranz zum Zählen der Tugendakte bei sich. Sie kommentiert: "Ich habe mich in Netze verstrickt, die mir nicht gefallen, die mir aber in meinem jetzigen Seelenzustand sehr nützlich sind." Schwester Marie-Madeleine versucht Therese auszuweichen und erscheint oft nicht zu den vereinbarten Treffen. Über die sehr lebhafte Postulantin Marie de la Trinité mit ihren "wenig anziehenden Manieren" schreibt Therese: "ich glaube, sie wird BLEIBEN. [...] ich versuche, sie nur mit weißen Seidenhandschuhen anzufassen ...".

4.3. Bücher (Bibel)

Im Alter von 17 und 18 Jahren beschäftigte Therese sich mit Johannes vom Kreuz, "später aber ließen mich alle Bücher in der Dürre, und in diesem Zustand bin ich heute noch. Wenn ich das Buch eines religiösen Schriftstellers aufschlage (und wäre es das schönste, das ergreifenste), so fühle ich sofort, wie mein Herz sich schnürt, und ich lese sozusagen ohne zu verstehen, oder wenn ich verstehe, so erstarrt mein Geist, ohne betrachten zu können... In diesem Unvermögen kommen mir die Heilige Schrift und die Nachfolge Christi zu Hilfe; in ihnen finde ich kräftige und ganz reine Nahrung".

Bei Therese stellt sich ein wachsender Leseverdruß ein, sie wendet sich hin zur Bibel. "Das Evangelium aber vor allem andern gibt mir das Nötige für das innere Gebet [...] In ihm entdecke ich immer neue Klarheiten, verborgene und geheimnisvolle Bedeutungen..." Ihr scheint "das Wort Jesu ist Er selbst"

4.4. Fehler, die Gott nicht beleidigen

Im Oktober 1891 hält Pater Alexis Prou die Exerzitien. "Ich hatte damals große innere Prüfungen aller Art (die soweit gingen, daß ich mich manchmal fragte, ob es einen Himmel gebe)." Therese, die sich sowieso schon schwer tut, ihr Innenleben aufzudecken, ist unsicher, wie sie sich im Beichtstuhl ausdrücken soll. Doch nach wenigen Worten "wurde ich auf wundersame Weise verstanden und sogar erraten...meine Seele war wie ein Buch, worin der Pater besser zu lesen vermochte als ich selbst... Er warf mich mit vollen Segeln auf die Fluten des Vertrauens und der Liebe, die mich so stark anzogen, aber auf die ich mich nicht hinauswagte... Er sagte mir, daß meine Fehler dem Lieben Gott keinen Kummer bereiteten, daß er als Sein Stellvertreter mir in Seinem Namen sage, der Liebe Gott sei mit mir sehr zufrieden... [...] Noch nie hatte ich sagen hören, daß es Fehler geben kann, die dem Lieben Gott keinen Kummer bereiten; diese Versicherung erfüllte mich mit überreicher Freude, sie ließ mich geduldig die Verbannung des Lebens ertragen... Ich fühlte auf dem Grunde meines Herzens wohl, daß dies wahr ist, denn der Liebe Gott ist zärtlicher als eine Mutter; nun, sind Sie, geliebte Mutter, nicht immer bereit, mir die kleinen Unvornehmheiten zu verzeihen, die ich Ihnen unfreiwillig zufüge?...Wie oft habe ich doch diese süße Erfahrung gemacht!...Keine Zurechtweisung hätte mich so sehr gerührt wie eine einzige Ihrer Liebkosungen. Ich bin von Natur so beschaffen, daß die Furcht mich zurückschlägt, mit der Liebe aber schreite ich nicht nur voran, ich fliege..."

4.5. Kleiner Weg

Vermutlich im Oktober 1894 entdeckt Therese den kleinen Weg, den sie später insbesondere in B 196 und MsC darlegen wird.

4.6. Weihe an die Barmherzige Liebe

Während einer Messe am 9. Juni 1895, dem Fest der Heiligen Dreifaltigkeit, erkennt Therese "klarer denn je [...], wie sehr Jesus sich danach sehnt, geliebt zu werden". Sie verspürt die Sehnsucht, sich der göttlichen Barmherzigkeit zu weihen, "um in ihrem Herzen die ganze Liebe zu empfangen, die von den Geschöpfen mißachtet ist, denen Therese sie aber weitergeben wollte" (CSG 66 zitiert nach Wollbold, G /48f). Therese glaubt, Gott wäre glücklich, die unendlichen Fluten seiner Zuneigung, die von den Menschen verschmäht werden, nicht länger in seinem Herzen zurückzudrängen, sondern Seelen damit zu entflammen. "Wenn deine Gerechtigkeit die Neigung hat, sich zu entladen [...], wieviel mehr verlangt dann deine erbarmende Liebe danach, die Seelen zu entflammen". Therese hebt ihre Weihe deutlich gegen die damals geläufige Weihe an die göttliche Gerechtigkeit ab, die zum Ziel hatte, "die über die Sünder verhängten Strafen abzuwenden und auf sich zu lenken". Noch einen Tag zuvor hatte man bei Tisch von einer Schwester gelesen, die ihren schrecklichen Todeskampf als Folge ihrer Weihe an die göttliche Gerechtigkeit ansah. Aber für Therese (-die vermutlich im Oktober 1894 ihren kleinen Weg entdeckt hat-) steht eine andere göttliche Vollkommenheit im Vordergrund: "Mir hat Er seine unendliche Barmherzigkeit gegeben, und nur durch sie hindurch betrachte ich und bete ich an die übrigen göttlichen Vollkommenheiten!...Dann erscheinen sie mir alle strahlend von Liebe; selbst die Gerechtigkeit (und sie vielleicht noch mehr als alle andere) scheint mit der Liebe bekleidet..."

Die Schuld der Menschen ist, die unendliche Liebe Gottes nicht anzunehmen: "Von allen Seiten wird sie verkannt, verworfen". Hier kann Therese Stellvertretung für die Welt übernehmen, indem sie sich selbst restlos für Gottes Liebe öffnet.  

Therese weiht sich zunächst spontan der barmherzigen Liebe. Da sie aber an eine Verbreitung der Weihe denkt, verfaßt sie ihren Akt der Aufopferung schriftlich und vollzieht ihn ausdrücklich mit Céline am 11.6. Der Text wird von Pater Lemonnier und seinem Superior geprüft und bis auf eine Veränderung ("unendliche Wünsche" wird ersetzt durch "unermeßliche Wünsche") bestätigt. 

Wenige Tage nach ihrem Hingabeakt fühlt sich Therese, als sie ihren Kreuzweg betet von göttlicher Glut ergriffen, brennend vor Liebe: "Oh! Welch eine Glut und zugleich welch eine Süßigkeit! Ich brannte vor Liebe, und ich fühlte, daß ich diese Glut nicht eine Minute, nicht eine Sekunde länger hätte ertragen können, ohne zu sterben." Danach fällt sie wieder in die gewohnte Trockenheit zurück, aber die Annahme ihres Opfers scheint bestätigt.

Therese empfiehlt die Weihe weiter. Aber Schwester Marie du Sacré-Coeur fürchtet, Gott werde sie beim Wort nehmen, sie habe zu große Angst vor dem Leiden. Doch Therese beruhigt sie, sie werde deshalb nicht mehr leiden, es sei nur, um Gott mehr lieben zu können. Therese wird später ihre Krankheit im Hinblick auf diese Weihe verstehen. Aber noch am Todestag sagt sie: "Ich bereue nicht, mich der Liebe ausgeliefert zu haben".

Der Weiheakt an die barmherzige Liebe enthält eine Zusammenschau wichtiger Aspekte von Thereses Berufung und Lehre wie z.B.:

- das Verlangen, Gott zu lieben und dahin zu wirken, daß er geliebt wird

- das Verlangen heilig zu werden und die Bitte, daß Gott angesichts ihrer eigenen Ohnmacht ihre Heiligkeit sei

- Darbringung der Verdienste der Heiligen

- Entsprechung zwischen dem eigenen Verlangen/Wünschen und den Gaben, die Gott geben will

- eucharistische Gegenwart

- Reinigung durch den göttlichen Blick, der die Unvollkommenheiten verzehrend alles in sich selbst umwandelt

- Leid als Gnade und Motivik der Ähnlichkeit

- keine Verdienste für den Himmel anhäufen, sondern arbeiten zu Jesu Freude

- am Jüngsten Tag mit leeren Händen vor Gott

- Weihe an die barmherzige Liebe, mit jedem Herzschlag erneuert

- von Liebe verzehrt werden, Martyrium der Liebe

- Himmel als ewiges Angesicht-zu Angesicht

Die eigentliche Weihe ist von Johannes vom Kreuz geprägt. Seit 1923 ist sie mit einem Ablaß verbunden.

Combes spricht in Bezug auf die Weihe an die Barmherzige Liebe von "einer der erschütterndsten und grandiosesten Umwälzungen, die der Heilige Geist in der religiösen Entwicklung der Menschheit entfachte" . Von Balthasar hebt hervor: "Therese ist die Künderin der göttlichen Barmherzigkeit und eines grenzenlosen, immer wachsenden und durch nichts gehemmten Vertrauens auf die Gnade."

4.7. Gebetsschwierigkeiten

Immer noch wird Therese bei ihren Betrachtungen und Kommuniondanksagungen häufig vom Schlaf übermannt. Aber gegenüber früher hat sie zu einer größeren Gelassenheit gefunden. Mit faszinierender Unbekümmertheit versucht sie zur Zeit der Abfassung des MsA ihr Einschlafen auf dreierlei Weise zu erklären. Statt traurig über ihre Trockenheit zu sein, scheint sie sich gar darüber zu freuen: "Ich sollte trostlos darüber sein, daß ich (seit sieben Jahren) während meiner Betrachtungen und Danksagungen einschlafe; nun, es betrübt mich nicht ... Ich denke, die kleinen Kinder gefallen ihren Eltern ebensosehr, wenn sie schlafen, wie wenn sie wach sind". Zurecht weist Combes darauf hin, daß es eigentlich nicht darum geht, ob wir Gott schlafend genauso lieb sind wie wachend, sondern ob wir Gott genauso lieb sind, wenn wir schlafen zur Zeit, da wir beten sollen. Diese Schwierigkeit löst sich, indem Therese alle Verantwortung für ihr Schlafen auf Gott zurückwirft: "Ich denke auch daran, daß die Ärzte ihre Patienten einschläfern, wenn sie eine Operation vornehmen." Wenn Therese alles in ihrer Macht stehende versucht, ihre Schläfrigkeit zu überwinden, aber immer wieder scheitert, ist es wohl der Wille Gottes, der damit seine Absicht verfolgt, wie ein Arzt seinen Patienten vor der Operation narkotisiert. Gott scheint für ihr Einschlafen verantwortlich zu sein. Im Schlaf wird Gott tätig, er handelt auch und gerade im Schlaf. Er ersetzt ihre Initiative durch die seine.

"Schließlich denke ich: 'Der Herr kennt unsere Gebrechlichkeit und ist eingedenk, daß wir Staub sind'." Gott weiß um unsere Schwachheit und für ihn ist unsere Liebe und nicht der Erfolg entscheidend.  

4.8. Wünsche und ihre Erfüllung

Ein Zeugnis für Erhörung ihrer Wünsche sieht Therese z.B. im von ihr ersehnten Klostereintritt ihrer Schwester Céline, die dann auch noch als Novizin Therese anvertraut wird. So wird Thereses kaum ausgesprochener Wunsch von Gott überreich erhört. Wenn Gott nun schon diese leisen Wünsche so wunderbar erhört, wie wird er dann erst ihre großen, so oft vorgetragenen Bitten beantworten? Therese hat "unermeßliche Wünsche", aber sie zweifelt nicht an deren Erhörung, denn Gott selbst bewirkt ihr Verlangen: "je mehr du [Gott] geben willst, um so mehr steigerst du das Verlangen."

Was ist nun die Haltung des Bittgebetes? "Ein Doppeltes - theoretisch kaum Vereinbares - liegt darin: das echte Vertrauen darauf, daß Gott, wenn nötig, eingreifen wird in das Geschick seiner Schöpfung, und das noch größere Vertrauen, daß Gott auch im Nicht-Eingreifen das Gebet erhört hat. Bei Therese von Lisieux finden sich [...] Zeugnisse für diese zwei-eine Haltung des Bittgebetes" Als Beispiel läßt sich hier anführen: Man trägt Therese auf, am Tag ihrer Profeß um die Heilung ihres kranken Vaters zu beten, "aber alles, was ich sagen konnte, war: Mein Gott, ich flehe Dich an, gib, daß es Dein Wille sei, daß Papa gesund wird!"

Nachdem Gott ihre Wünsche schließlich überreich erfüllt hat, hat Therese "keinen Wunsch mehr außer dem einen, Jesus bis zur Torheit zu lieben... Meine kindlichen Wünsche sind verflogen[...] Ich begehre auch nicht mehr nach dem Leiden oder dem Tod, und doch sind sie mir beide teuer. Nur die Liebe allein zieht mich noch an... Lange habe ich mir Leiden und Tod gewünscht; das Leiden wurde mir zuteil, und ich glaubte auch, ans Ufer des Himmels zu rühren; ich glaubte, die kleine Blume würde in ihrem Frühling gepflückt werden... doch jetzt leitet mich nur noch die Hingabe, ich habe keinen anderen Kompaß!... Um nichts kann ich mehr mit Inbrunst bitten als darum, daß sich der Wille Gottes an meiner Seele vollkommen erfülle, ohne daß die Geschöpfe zum Hindernis werden können".

4.9. Gebet im Schweigen

Vor dem Tabernakel weilend "habe ich unserem Herrn nur dies eine zu sagen: 'Mein Gott, du weißt, daß ich dich liebe' [Joh 21,15]. Und ich fühle, daß mein Gebet Jesus nicht lästig ist".

"Oft ist das Schweigen der einzig mögliche Ausdruck meines Gebetes; doch der göttliche Gast im Tabernakel versteht alles, auch das Schweigen einer von Dankbarkeit erfüllten Kinderseele! ..." Therese, die eine intuitive Kommunikation im Himmel erhofft, meint "das Schweigen ist die Sprache der glücklichen Himmelsbewohner".

4.10. Herz Jesu

Auch in der Herz-Jesu-Frömmigkeit findet Therese ihre eigene Gewichtung und Deutung. So wagt an Céline zu schreiben: "Du weißt, ich sehe das Herz Jesu nicht wie jedermann. Ich denke, das Herz meines Bräutigams ist ganz mein und das meine ganz sein [Hld 2,16], und ich spreche zu ihm in dieser köstlichen Einsamkeit von Herz zu Herz, bis ich ihn dann einmal von Angesicht zu Angesicht schauen darf ..." Gegenüber der üblichen Betonung von Stellvertretung und Sühne erkennt Therese im Herzen Jesu ein Zeichen der Nähe. Jesus selbst ist dort ganz mit Leib, Seele und Geist versammelt. Diese Nähe Jesu ist für Therese wie die eines Geliebten oder die einer Mutter.    

4.11. Natur

Die Natur erscheint Therese in wichtigen Lebenssituationen als Abbild ihrer Seele. Sie weint und lacht mit ihr.

Am Gleichnis der Natur unterweist Jesus Therese über die Geheimnisse einer höheren Ordnung. "Ich begriff: Wenn Jesus in der Ordnung der Natur so wunderbare Dinge unter unseren Füßen ausstreut, geschieht es nur, um uns zu helfen, die verborgenen Geheimnisse zu erraten, die er in den Seelen wirkt und die einer höheren Ordnung angehören ..."

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