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auf der Homepage von Ruth und Frank Effertz

 

TABELLARISCHER LEBENSLAUF THERESES

2.1.1873 Geburt von Marie-Françoise-Thérèse in Alençon.

4.1      Taufe in der Kirche Notre-Dame.

um den 15.3   Thérèse kommt zu einer Amme, Rose Taillé, in Semallé (Orne)

2.4.1874    Heimkehr in die Familie.

1/1875  Thérèse denkt: "Ich werde Klosterfrau."

28.8.1877  Tod der Mutter.

29.8  Thérèse wählt Pauline zu ihrer zweiten Mutter.

15.11.        Ankunft in Lisieux.

16.11  Einzug in den Buissonnets.

8.8.1878 Erste Reise nach Trouville.

Ende 1879/Anfang 1880  Erste Beichte von Thérèse.

1879 oder 1880 Prophetisches Gesicht über die spätere Krankheit ihres Vaters.

3.10.1881 Eintritt als Halbpensionärin in die Klosterschule der Abtei.

2.10.1882 Eintritt Paulines in den Karmel von Lisieux.

Ende 1882 Thérèse leidet unter ständigem Kopfweh.

25.3.1883 Erkrankung Thérèses während eines Abwesenheit ihres Vaters und ihrer beiden   älteren Schwestern.

13.5.  Lächeln der Seligsten Jungfrau und wunderbare Heilung.

5.-8.5.1884 Einkehrtage zur Vorbereitung auf die Erste hl. Kommunion.

8.5.  Thérèses Erstkommunion. Profeß Schwester Agnès de Jésus.

22.5  Thérèse kommuniziert zum zweitenmal.

14.6  Firmung.

Anfang Mai 1885 Aufenthalt in Deauville.

17.-21.5 Einkehrtage. "Schreckliche Krankheit der Skrupeln".

21.5  Aufenthalt in Trouville.

Anfang Oktober  Rückkehr in die Abtei.

27.2-15.3  Verlassen der Abtei aus Gesundheitsgründen. Privatstunden bei Frau Papinau.

31.5  Aufnahme in der Abtei als Marienkind.

15.6-31.7 Kurzer Aufenthalt in Trouville.

3.-15.10 Reise nach Alençon.

7.10  Während der Reise: Eintritt Léonies bei den Klarissinnen.

15.10  Eintritt Maries in den Karmel von Lisieux.

Ende Oktober Heilung von den Skrupeln durch die Fürsprache ihrer Brüderchen im Himmel.

25.12  Weihnachtsbekehrung.

1887  Gnade vor dem Bilde des Gekreuzigten.

29.5  Thérèses Bitte um Erlaubnis ihres Vaters in den Karmel einzutreten.

1.9  Bericht in der Zeitung La Croix über die Hinrichtung Pranzinis.

31.10  Besuch bei Mgr. Hugonin, um die Einwilligung zum Eintritt in den Karmel zu   erbitten.

4.11  Abreise von Lisieux nach Rom.

20.11  Audienz bei Leo XIII.

2.12  Heimkehr nach Lisieux.

28.12  Bejahende Antwort durch Mgr. Hugonin an Mutter Marie de Gonzague.

9.4.1888 Eintritt Thérèses in den Karmel von Lisieux.

22.5  Profeß Schwester Marie du Sacré-Coeur.

23.6  Viertägiges Verschollensein von Herr Martin.

10.1.1889 Einkleidung Thérèses.

12.2  Einlieferung Herr Martins in eine Irrenanstalt nach Caen.

Juli  Gnade der Vereinigung mit der Mutter Gottes in der Einsiedelei der Hl.    Magdalena.

Anfang 1890 Aufschub der Profeß Thérèses.

8.9  Profeß.

24.9  Schleierfest.

8.-15.10.1891 Exerzitien, gehalten von P. Alexis Prou, Recollet. Bestärkung ihres Weges

5.12  Tod Mutter Geneviève de Sainte-Thérèse.

Ende Dezember Beginn der Influenzepidemie. Erlaubnis täglich zu kommunizieren.

20.2.1893  Wahl Schwester Agnès de Jésus zur Priorin des Karmels.

Kurz darauf Mithilfe in der Ausbildung der Novizinnen.

29.7.1894 Tod des Vaters.

14.9  Eintritt Célines in den Karmel von Lisieux.

Ende Dezember Auftrag durch Mutter Agnès de Jésus, Kindheitserinnerungen aufzuzeichnen.

Januar 1895 Beginn der Aufzeichnung ihrer Erinnerungen.

9.6  Weihe an die barmherzige göttliche Liebe als Ganzbrandopfer.

11.6  Gemeinsame Rezitation der Weihe an die barmherzige Liebe von Thérèse und   Céline.

14.6  Gnade einer Liebesverwundung.

16. oder 17.10 Geistliche Schwester von Bellière (Seminarist und zukünftiger Weißer Vater)   durch Mutter Agnès de Jésus.

20.1.1896 Übergabe ihrer Erinnerungen an Mutter Agnès de Jésus.

24.2  Profeß Célines, nunmehr Schwester Geneviève de Saint-Thérèse.

21.3  Schwierige Wiederwahl der Mutter Marie de Gonzague als Priorin. Bestätigung   des Amtes bei den Novizinnen.

2.-3.4  Erster Bluthusten.

5.4  Beginn der inneren Prüfung, die bis zum Tode anhielt: Anfechtungen gegen den   Glauben und die Hoffnung.

10.5  Traum betreffend die Selige Anne de Jésus.

30.5  Zweiter geistlicher Bruder, P. Adolphe Roulland, von den Missions Etrangères.

Anfang September Einkehrtage. Große Erleuchtungen über ihre Berufung.

13.-16.9 Brief an Schwester Marie du Sacré-Coeur.

6.4.1897 Beginn der Aufzeichnung der letzten Äußerungen Thérèses durch Mutter Agnès   de Jésus.

2.6  Bitte Mutter Agnès de Jésus an Mutter Marie de Gonzague, Schwester Thérèse   vom Kinde Jesus mit der Weiterführung ihrer Lebenserinnerungen zu    beauftragen.

3.6  Erteilung des Auftrags, von ihrem Klosterleben zu berichten.

8.7  Verlassen der Zelle. Krankenzimmer.

Vor dem 11.7 Beendigung des dritten ihrer Manuskripte.

30.7  Letzte Ölung.

19.8  Letzte hl. Kommunion.

30.9  Tod.

 Diplomarbeit

 

‘Blick zum Himmel’ und Schrei der Liebe’

 

GEBET ALS AUSDRUCK DER LIEBE

BEI THERESE VON LISIEUX

von Ruth Effertz

 

0. Einleitung

 

Am 19. Oktober 1997 ist die 'kleine' Therese (1873-1897) von Papst Johannes Paul II. zur Kirchenlehrerin ernannt worden. Die Lehre der jungen Karmelitin scheint hochaktuell zu sein, viel wird zur Zeit über Therese von Lisieux geforscht und geschrieben. Gegen den Mythos des himmlischen Kindes, das den Himmel in den Augen hat, hat sich die 'theresianische Wahrheit' erst langsam und mit mancher Erschwernis durchsetzen können.

Drei autobiographische Manuskripte hat Therese hinterlassen (Manuskript A an Mutter Agnès de Jésus, B an Schwester Marie du Sacré-Cœur und C an Mutter Marie de Gonzague). Kurz vor ihrem Tod hat sie Mutter Agnès die Erlaubnis erteilt, vor einer Veröffentlichung ihrer Schriften Veränderungen vorzunehmen. Deren über 7000 Korrekturen betreffen nicht nur Nebensächlichkeiten: So werden in der "Geschichte einer Seele" z.B anstößige, gewagte Details weggelassen, die Manuskripte in vertauschter Reihenfolge zu einem Buch mit zwölf Kapiteln zusammengefaßt und Mutter Marie de Gonzague gewidmet. Erst 1956 erscheint in Frankreich der authentische Text der 'Selbstbiographischen Schriften' ('Manuscrits autobiographiques') und 1971-1988 schließlich eine umfassende, ausführlich kommentierte Ausgabe ihrer Schriften und Worte ('Edition du Centenaire'), die 266 Briefe, die 'Letzten Gespräche', 54 Gedichte, 21 Gebete und 8 Theaterstücke Thereses umfaßt.

Im Wandel der Zeit hat sich auch das Bild von Therese verändert. In der volkstümlichen Verehrung kommt es nicht selten "zu bedenklichen Glättungen Thereses im Sinn des Ideals einer christlich-bürgerlichen Familie". Gegenüber einer Idealisierung der Bravheit Thereses "fallen ihr karmelitanischer Grund, ihr mystisches Sehnen, ihr Gang zum Nächsten und ihre Glaubensnacht rasch unter den Tisch, und am Ende bleibt nur das ewige Kind, daß man eben einfach liebhaben muß". In der Kriegs- und Nachkriegszeit sind in der Thereseforschung z.B. Görres mit ihrer 'Hagiographie von unten' und von Balthasar mit seiner Beschreibung Thereses als einer göttlichen Sendung zu nennen, die beide nicht die Menschlichkeit Thereses idealisieren, sondern das Gnadengeschehen ihrer Heiligkeit hervorheben. Für die heutige Thereseforschung ist charakteristisch, daß sie "schärfer Thereses Entwicklung sowie ihre implizite Kritik an zeitgenössischen Frömmigkeitsvorstellungen wahrnimmt". Hier erkennt man die Bedeutung der unterschiedlichen zugrundegelegten Quellen und des historischen Kontextes beim Verständnis von Therese.

Wichtig für die Überzeugungskraft Thereses ist die Radikalität und Bedingungslosigkeit, mit der sie ihren Glauben lebt. So bekennt Rahner, daß ihn eigentlich allein der Tod Thereses interessiert. Für Rahner ist Therese "ein Mensch, der gestorben ist in der tödlichen Anfechtung des leeren, bis zum Grund gehenden Unglaubens und der darin geglaubt hat. Der glaubte, als er an Schwindsucht erstickte und ihm all das fromme Getue der Mitschwestern nur wie eine namenlose und leere Pein vorkommen mußte. Da starb jemand, der das als vernichtende Wirklichkeit annahm, was vorher fromm beredet wurde, was vorher sehr im Verdacht stehen mußte, die Traumwelt zu sein, in die ein junges Ding entfloh, weil es Angst vor der Wirklichkeit und Wahrheit hatte." Auch wenn man Thereses Lehre sicher nicht auf ihren Tod verkürzen darf, so wird doch an Rahners Aussage deutlich, wie eng Glaube und Leben bei Therese miteinander korrelieren.

Nach all diesen Vorbemerkungen zum Verständnis Thereses können wir uns nun dem eigentlichen Thema der vorliegenden Arbeit widmen, dem Gebet bei Therese von Lisieux. Therese selbst kennzeichnet ihr Gebet folgendermaßen: "Für mich ist das Gebet ein Schwung des Herzens, ein einfacher Blick zum Himmel empor, ein Schrei der Dankbarkeit und der Liebe, aus der Mitte der Prüfung wie aus der Mitte der Freude; kurz, es ist etwas Großes, Übernatürliches, das mir die Seele ausweitet und mich mit Jesus vereint." Thereses Gebet ist ein einfacher Ausdruck ihrer Liebe.

Um der lebensgeschichtlichen Entwicklung von Thereses Beten besser gerecht zu werden, wähle ich eine Einteilung der Arbeit in fünf Lebensphasen (erstes bis fünftes Kapitel). Das erste Kapitel umfaßt die Kindheit Thereses bis Weihnachten 1886 und ist stark durch die Familie geprägt. Mit Thereses Bekehrungserlebnis an Weihnachten 1886, setzt das zweite Kapitel ein, denn nun ist immer deutlicher ein eigenständiges spirituelles Leben Thereses zu erkennen. Einen neuen Einschnitt bildet ihr Karmeleintritt. Postulat und Noviziat stehen im Blickpunkt des dritten Kapitels. Während diese Phase eher von einem Rückzug in die Verborgenheit geprägt ist, folgt nach der Profeß unter dem Priorat von Mutter Agnès eine Phase, in der Therese (z.B. durch Novizinnenausbildung, Schriftstellerei und Malerei) stärker an die Öffentlichkeit tritt. Diese soll Gegenstand des vierten Kapitels sein. Im fünften Kapitel schließlich wird die Zeit seit ihrem ersten Bluthusten bis zu ihrem Tod betrachtet, die von Krankheit und Glaubensprüfung geprägt ist. Ein sechstes Kapitel versucht Ansätze zu finden, inwiefern Therese uns heute beten lernen bzw. lehren helfen könnte.

1. KINDHEIT BIS WEIHNACHTEN 1886

 

1.1. Frankreich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

 

Im ausgehenden 19. Jahrhundert wird Gott radikal infrage gestellt. Gleichtzeitig boomt der Kult des Kindes. "Das große Erlebnis der Katholiken des 19. Jahrhunderts war die 'Säkularisation' des Abendlandes und damit die Verdrängung der Kirche aus ihrem Vorrang in der Welt. [...] Die Kirche war endgültig in Verteidigungsstellung gerückt, sie hatte nicht abgedankt, sie war abgesetzt worden, sie war auf dem Weg, eine Privatangelegenheit einzelner oder von Gruppen zu werden."  Viele deuten den Deutsch-Französischen Krieg als Strafe Gottes. Dieser Gedanke läßt die Forderung nach religiöser Wiedergutmachung in den Vordergrund der Frömmigkeit treten.  "Hieraus erklärt sich das damalige aufblühende Wallfahrtswesen in Frankreich; gerade die 'National'-Wallfahrten der Assumptionisten erfreuten sich großer Beliebtheit. Über rein religiöse Motive hinaus verbindet sich mit den Wallfahrten auch das Anliegen, den katholischen Glauben gegenüber dem damaligen Antiklerikalismus, Antitheismus und Atheismus zu bekunden; darüber kommt es zu einer Vermischung von Politik und Religion." Von den Frommen fordert man ein unbedingtes Ja zur Kirche. "Vielleicht gab es nie vorher und nie nachher so bedingungs- und kritiklose, sagen wir ruhig blinde Treue und Loyalität gegen die Kirche; und nicht nur zu ihr, sondern zu allem, was je mit ihr verbündet war und mir ihr zu tun hatte." Dem Diesseits wird im Verhältnis zum Jenseits nur geringer Wert beigemessen, die Ehe erscheint gegenüber dem geistlichen Stand als Notlösung. Die Eucharistie wird als furchterregend angesehen, ihr Empfang als Belohnung für Treue. "Die religiöse Erziehung vollzieht sich [...] ganz im Geist von Selbstüberwindung und Opfer, [...] der Weg der Heiligkeit im Glauben [ist] praktisch identisch mit dem der Moral."

 

 

1.2. Frömmigkeit der Eltern Martin

 

Thereses Eltern, Louis (22.8.1823-29.7.1894) und Zélie Martin, geborene Guérin, (23.12.1831-28.8.1877) leben überzeugt ihre christliche Religion.

Louis will als junger Mann in eine Ordensgemeinschaft eintreten, wird aber mangels Lateinkenntnissen abgelehnt. Obwohl er nun versucht, Latein zu erlernen, zerschlagen sich schließlich seine Klosterpläne. Meßbesuch unter der Woche, Wallfahrten, monatliche nächtliche Anbetungen prägen seine Frömmigkeit. Er gehört der Kongregation vom allerheiligsten Sakrament an. Louis Martin ist ruhig und meditativ. So liebt er es, stundenlang zu fischen oder er zieht sich in einen von einem Garten umgebenen Turm (Pavillon) zurück. Demonstrativ tritt er für seine religiösen Ansichten ein: Als z.B. jemand bei der Fronleichnamsprozession provokativ die Mütze aufbehält, schlägt Herr Martin sie ihm kurzerhand vom Kopf. Sein Uhrmacher- und Juweliergeschäft in Alençon bleibt trotz guter Absatzmöglichkeiten sonntags geschlossen.

Zélie Guérin möchte als junge Frau zu den Vinzentinerinnen, aber sie wird abgelehnt. Selbst nach ihrer Hochzeit, verspürt sie noch starke Sehnsucht nach dem Ordensstand. Ihre Kinder will sie für den Himmel erziehen.

In jungen Jahren vernimmt Zélie zweimal innere Worte, denen sie folgt. War ihre Jugend "traurig wie ein Leichentuch", so schreibt sie rückblickend über ihr Leben: "Ich habe in meinem Leben niemals Vergnügen gekannt, wirklich niemals das, was man Vergnügen nennt". Ihrem Vater möchte Zélie das Fegefeuer erleichtern, indem sie geduldig ihre Zahnschmerzen erträgt.

Nach ihrer Hochzeit (am 13.7.1858) leben Zélie und Louis zunächst 10 Monate monastisch wie Bruder und Schwester zusammen. Erst ein Beichtvater führt zur Meinungsänderung, so daß aus ihrer Ehe neun Kinder hervorgehen, wovon vier aber früh versterben.

Die Eltern Martin messen dem Diesseits verglichen mit dem Jenseits nur geringe Bedeutung bei. Wollbold spricht von dem "betonte[n] eschatologische[n] Vorbehalt der Frömmigkeit in der Familie" Die Spiritualität ist stark geprägt von der Himmelssehnsucht. "Lamartines 'Das Leben ist dein Schiff und nicht dein Haus' bildet ein Leitwort der Familie, in dessen romantischem Geist alles Geschehen im irdischen 'Exil' zur Erinnerung an die Ewigkeit wird."

Täglich um 5.30 Uhr besuchen die Eltern Martin die Messe. Auch caritativ sind sie engagiert: Beispielsweise nehmen sie zeitweise ein Kind auf, dessen Vater verstorben ist, oder laden einen Landstreicher an ihren Tisch.

"Der Glaube der Eltern Martin war mehr als eine bloße Chiffre für eine moralisch geordnete Familie; sie gaben ihren Töchtern den 'Sinn für das Absolute Gottes und der Ewigkeit mit'. Vorbild und Lehre der Eltern weisen sie auf eine persönliche Beziehung zu Gott hin."

"Alles ist offen zu Gott, redet von Gott, führt zu Gott. Gott ist das Geheimnis, das das Leben der Eltern [...] erfüllt."

 

 

1.3. Religiöses Leben in der Familie

 

1.3.1. Atmosphäre des Gebets

 

Immer wieder betont Therese die Vorbildfunktion ihrer Eltern und Schwestern: "Da ich nur gute Vorbilder um mich her hatte, wollte ich sie selbstverständlich nachahmen." Alle fünf Töchter Martin werden schließlich ins Kloster eintreten. In der Familie erfährt Therese Liebe und Geborgenheit; "meine ersten Erinnerungen sind schon erfüllt mit Lächeln und zarten Liebkosungen!"  Diese Erfahrungen der Liebe und des Vertrauens prägen ihr Gottesbild. Von Balthasar meint: "Therese realisiert im Übernatürlichen nur, was sie irgendwie im Natürlichen erlebt hat. Sie hat vielleicht nichts inniger und überwältigender erfahren als die Liebe von Vater und Mutter. Darum wird ihr Gottesbild durch die Kindesliebe bestimmt. Louis und Zélie Martin verdanken wir letztlich die Lehre vom 'kleinen Weg'".

Therese ist umgeben von religiöser Lebensdeutung. "Man spricht um sie herum ständig von Gott, von der Heiligkeit, von der Kirche, mit einer Sicherheit und Selbstverständlichkeit, daß der ganze Gott, auch der immer größere Gott, in einer kindlichen, aber lebendigen Art wahr wird. [...] Wo sie aufhört zu begreifen [...], dort steht in der Verlängerung ein schönes Geheimnis [...]. Sie kennt kein Ding, hinter dem Gott nicht wäre."

Therese wird rückblickend feststellen: "Seit meinem dritten Lebensjahr habe ich keine drei Minuten nicht an Gott gedacht". Die Mutter schreibt über die Vierjährige: "Sie spricht nur von Gott und würde um keinen Preis ihre Gebete unterlassen."

Als Therese noch zu klein ist, zum Sonntagsgottesdienst zu gehen, erwartet sie sehnsüchtig Céline, die ihr geweihtes Brot mitbringt, "das war 'meine Messe'". Mit dem Dienstmädchen hält Therese ihre Maiandacht vor ihrem eigenen Maialtärchen.

In Thereses Familie wird viel gebetet. Die Briefe ihrer Mutter geben ein reges Zeugnis davon, oft ist von Novenen die Rede, und das Spektrum der Anliegen reicht von Heilung der Mutter bis zu einem tüchtigen Laufburschen für die Apotheke des Onkels. Therese wächst so hinein in eine Selbstverständlichkeit des Gespräches mit Gott. Wenn man vergißt mit Therese zusammen ihr Abendgebet zu verrichten, fordert sie es ein.

 

 

1.3.2. Gebet als Gemeinschaftserfahrung

 

Wie sehr das Gebet für Therese in ihrer Kindheit auch mit Erfahrungen menschlicher Gemeinschaft verbunden ist, mag folgende Episode anzeigen: Während der letzten Lebenswochen von Frau Martin sind Therese und Céline tagsüber bei einer Verwandten untergebracht. Eines Morgens schaffen sie es vor dem Weggehen von zuhause nicht mehr, ihr Gebet zu verrichten. Sie sagen es der Verwandten. "'Nun, dann könnt ihr's ja machen, Kinderchen' antwortete diese, darauf führte sie uns alle beide in ein großes Zimmer und ging weg... Da schaute mich Céline an und wir meinten: 'Ach! das ist nicht wie bei Mama... sie hat immer mit uns gebetet!...'" Daran, daß Therese in dem leeren Raum nicht zu beten vermag, wird die Bedeutung der Mutter für ihr Gebet deutlich. Therese hat Beten bisher immer als gemeinschaftliches Miteinander (mit Eltern, Schwestern oder Hausmädchen) erlebt, als "eine Art Fest [...] in der Gemeinschaft der Heiligen". So deutet Balthasar: "Ein Teil dessen, was sie beim Beten empfindet, ist durch die Gegenwart der geliebten Personen bedingt: diese Gegenwart der menschlichen Liebe ist ihr wie Gewähr für die verborgene Gegenwart Gottes. [...] Sie denkt nicht daran, eine direkte, persönliche Antwort Gottes zu erwarten. Die Anwort liegt im Miteinander des Betens. Erst bei der fremden Frau lernt sie, zum erstenmal, das unvermittelte, das trockene und antwortlose Gebet kennen."

 

 

1.3.3. Schuldbewußtsein

 

Therese, überempfindlich bezüglich ihrer kleinen Vergehen, hat ein ausgeprägtes Schuldgefühl, und beeilt sich um Verzeihung zu bitten, z.B. wenn sie ihrer Mutter beichtet, daß sie Céline geschlagen oder eine kleine Vase zerbrochen oder ein Stückchen Tapete abgerissen hat. "Sie steht da wie ein Verbrecher, der auf sein Urteil wartet; aber sie hat die geheime Hoffnung, daß man ihr leichter verzeihen wird, wenn sie ihre Fehler eingesteht."

 

 

1.3.4. Tugendübungen

 

Therese wird "ganz im Geist des Opfers erzogen". Wie ihre Schwestern erhält sie einen Perlenkranz ('praktischen Rosenkranz') zum Zählen der (und Buchführen über die) Tugendakte. Zur Verwunderung der Nachbarn hört man die Vierjährige im Garten ständig von ihren 'Übungen' reden.

Pauline verfaßt zur Vorbereitung auf Thereses Erstkommunion ein kleines Buch, das bezeichnet, welche Opfer (Blüten) und Anrufungen man Jesus täglich darbringen soll. Therese ist ausgesprochen eifrig: Vom 1.März bis zum 7. Mai bringt sie 1949 Opfer (im Schnitt 28 pro Tag) und wiederholt 2773mal die vorgeschlagenen Anrufungen (im Schnitt 40 pro Tag). Gegenüber den Exerzitien vor der Erstkommunion hebt Wollbold Paulines Buch positiv ab: "Zwar ging es auch darin darum, für Gott möglichst viel zu tun [...]. Aber Pauline hatte diese Taten nicht mit dem Dunkel der Furcht versehen, sondern mit dem Duft der Nähe und Vertrautheit Jesu."

 

 

1.3.5. Himmel

 

Therese nimmt alles genau, auch was man ihr über Tod und Himmel sagt und vermutlich wird ihr gegenüber oft die Himmelssehnsucht geäußert. So überrascht die Zweijährige(/bald Dreijährige) ihre Mutter: "'Ach wie sehr wünsche ich, daß Du stirbst, mein armes Mütterchen!' Man tadelt sie; sie antwortet: 'Es ist doch, damit Du in den Himmel kommst; Du sagst, man müsse sterben, um hineinzukommen.'" Wollbold sieht in dieser Episode ein Beispiel für Thereses "Wörtlich-Nehmen ihrer Vorgaben".

Selbst wenn sie nicht lieb wäre, weiß Therese ein Mittel der Hölle zu entgehen. So sagt sie voller Vertrauen und Zuversicht der Mutter: "'ich flöge mit dir - du bist im Himmel; wie könnte der liebe Gott mich wegnehmen! Du würdest mich ganz fest in den Armen halten.'" Schon früh beschäftigt Therese das Problem, wie im Himmel alle glücklich sein könnten, obwohl nicht allen diegleiche Herrlichkeit zuteil werde. Die jährliche Inszenierung der Preisverleihung für ihren Lerneifer bei Pauline mit dem Richterspruch des 'Königs von Frankreich und Navarra' ist für Therese "wie ein Bild des Jüngsten Gerichts". Wenn Therese sich in der Abtei einsam fühlt, "wiederholte ich jene Worte, die in meinem Herzen immer Frieden und Kraft neu werden ließen: 'Das Leben ist dein Schiff und nicht deine Heimat [Lamartine]!'" Allein die himmlische Gegenwelt entspricht Thereses absolutem Liebeswillen. "Man könnte in der Tat alle wichtigen Etappen ihres geistlichen Weges mit einer Vergewisserung des Himmels als Ort absoluter Liebe beschreiben: die Heilung durch die lächelnde Zuwendung der Muttergottes; die Erstkommunion, 'dieser Tag des Himmels'; seit der begeisterten Lektüre der Vorträge von Arminjon mit 14 Jahren eine personale Sicht des Himmels als Geschenk Gottes selbst; die 'Weihe an die barmherzige Liebe' aus dem Wunsch, Gott zu lieben und ihn lieben zu lehren."

 

 

1.3.6. Feste, Sonntage

 

chöne Erinnerungen verbindet Therese mit den Festtagen: Pauline erklärt ihr die dahinterstehenden Geheimnisse, "so daß es wahrhaft Himmelstage für mich waren". Besonders liebt Therese die Prozessionen mit dem allerheiligsten Sakrament, bei dessen Vorbeizug sie Rosen entblättert. Der Sonntag "war der Festtag des Lieben Gottes, der Festtag der Ruhe " Das bedeutet für Therese z.B. länger im Bett bleiben, Schokolade ans Bett gebracht bekommen, gekleidet werden wie eine Königin, gemeinsamer Meßbesuch...  "Dieser frohe Tag, der so schnell verflog, hatte doch seine Spur von Schwermut." Denn bei der Komplet denkt Therese wieder an die Anforderungen des kommenden Tages: Alltagsleben, arbeiten, Aufgaben machen. "Mein Herz empfand die Verbannung auf Erden... ich seufzte nach der ewigen Ruhe des Himmels, nach dem Sonntag ohne Abend in der Heimat!...".

 

 

1.3.7. Spiele

 

Als Kind hat Therese Freude an religiösen Spielen. Mit Céline veranstaltet sie "geistliche Konferenzen": Als Céline beispielsweise fragt, wie es möglich sei, daß Gott in einer so kleinen Hostie ist, erwidert Therese, sie finde das gar nicht so erstaunlich, weil er ja allmächtig ist. Was bedeutet allmächtig? "Nun, das heißt, alles machen, was er will!"

Die vierjährige Therese spielt Ordensfrau und ernennt sich selbst zur Priorin. Pauline klärt sie auf, daß man im Kloster schweigen muß. Daraufhin fragt sich Therese, wie man beten kann, "sans rien dire". Schließlich meint sie: "Après tout, mon petit Paulin, ce n'est pas la peine de se tourmenter déjà, je suis trop petite, vois-tu, quand je serai grande comme toi et comme Marie, avant d'entrer dans le cloîtrage on me dira comment faire?..."

Zu Schulzeiten vergnügt sich Therese, die "nicht zu spielen verstand wie die anderen Kinder", mit ihrer Cousine Marie beim Einsiedler-Spiel. Das Leben der beiden Einsiedler "verlief in immerwährender Beschauung, derart, daß der eine Einsiedler den anderen beim Gebete ablöste, wenn der sich mit dem tätigen Leben zu befassen hatte. Alles geschah in solcher Eintracht, solchem Schweigen und einer so geistlichen Art, daß es tadellos war. Wenn uns dann meine Tante zum Spaziergang abholte, so ging unser Spiel sogar auf der Straße weiter. Die beiden Einsiedler beteten gemeinsam den Rosenkranz und bedienten sich dabei der Finger, um ihre Andacht nicht dem indiskreten Publikum preiszugeben, eines Tages jedoch vergaß sich der jüngere der Einsiedler und schlug über das Kuchenstück, das man ihm zu seiner Kollation gegeben hatte, bevor er es verzehrte, ein großes Kreuzzeichen, was das gesamte weltliche Volk zum Lachen brachte..."

 

 

1.3.8. Trennungserfahrungen

 

1.3.8.1 Mutter

Kindheit und Jugend Thereses sind geprägt durch Trennungserfahrungen. Als Therese viereinhalb Jahre alt ist, stirbt ihre Mutter an Brustkrebs. Nach Thereses eigener späterer Eischätzung ist mit dem Tod der Mutter der erste Abschnitt ihres Lebens zuende. Sie wird sehr empfindlich und " weinerlich im Übermaß".

 

1.3.8.2 Pauline

Knapp fünf Jahre nach dem Tod ihrer Mutter, verliert Therese Pauline, die die Mutterstelle an ihr vertritt. Therese hört zufällig ein Gespräch über den bevorstehenden Karmeleintritt Paulines mit. "In einem Augenblick begriff ich, was das Leben ist, [...] ich sah, daß es nur Leid ist und beständige Trennung." Aber inmitten der Prüfung erfährt Therese ihre eigene Berufung für den Karmel, sie spürt "die Gewißheit eines göttlichen Rufes. Ich wollte in den Karmel nicht um Paulines willen, sondern für Jesus allein... Ich überdachte viele Dinge, die Worte nicht wiedergeben können, die aber einen tiefen Frieden in meiner Seele zurückließen".

Therese leidet unter dem Abschied ihrer Schwester und mehr noch unter den folgenden Besuchen im Karmelsprechzimmer. Mit Céline bei Guérins untergebracht, während Herr Martin, Marie und Léonie verreist sind, erkrankt Therese Ostern 1883 schwer, nachdem ihr Onkel Erinnerungen an ihre Mutter erzählt hat. Therese wird von einem Zittern befallen und hat wahnhafte Zustände und motorische Krisen. Die Diagnose ist unklar, man ist sehr besorgt, ist es Chorea? Herbstrith nimmt an, "daß Thereses Unfähigkeit, sich der neuen Trennung anzupassen, schwere Angstzustände hervorrief, die sich körperlich in Zittern, Angstschreien und Zwangsvorstellungen Ausdruck verschafften". Am Tag nach der feierlichen Einkleidung Paulines, dem Zeichen endgültiger Trennung, erleidet Therese einen so schlimmmen Rückfall, "daß ich nach menschlichem Ermessen nicht mehr genesen sollte..."  Familie und Karmel vereinigen sich im Gebet, im Pariser Heiligtum Notre-Dame-des-Victoires läßt man Messen lesen. Innerhalb der Meßnovene, am 13. Mai 1883 (Pfingstsonntag) ruft Therese unter Zwangsvorstellungen leidend nach Marie, ist, als diese kommt, aber nicht in der Lage ihr zu zeigen, daß sie sie erkennt. Marie und die Schwestern (Céline, Léonie) wenden sich verzweifelt zur Statue der Muttergottes neben Thereses Bett und flehen Maria um Heilung an, Therese vollzieht die Hinwendung innerlich mit: "Plötzlich erschien mir die Muttergottes schön, so schön, daß ich nie Schöneres gesehen hatte, ihr Antlitz atmete unaussprechliche Güte und Zärtlichkeit; was mir aber bis ins Innerste der Seele drang, das war das 'bezaubernde Lächeln der seligsten Jungfrau'. Da zerstoben alle meine Leiden, zwei dicke Tränen entquollen meinen Augen und rollten lautlos über meine Wangen; aber es waren Tränen ungetrübter Freude...". Durch die liebende (lächelnde) Zuwendung der Muttergottes ist Therese von ihren Angst- und Wahnvorstellungen geheilt.

 

1.3.8.3 Schule

Eine weitere Trennungserfahrung für Therese, der Schulbesuch in der Benediktinerinnenabtei, ist zunächst gemildert durch die Anwesenheit Célines. Als Céline aber die Abteischule beendet, hält Therese es dort nicht mehr aus, wird oft krank und verläßt schließlich vorzeitig die Schule.

Nur um Aufnahme in die Marienvereinigung zu erlangen, kehrt sie an zwei Nachmittagen zur Abtei zurück und hält dort vereinsamt aus: "Da sich niemand um mich kümmerte, stieg ich auf die Empore der Kapelle und blieb vor dem Allerheiligsten bis zum Augenblick, da Papa mich holen kam, das war mein einziger Trost. War denn nicht Jesus mein einziger Freund?... Nur mit ihm wußte ich zu reden".

 

1.3.8.4 Marie

Schließlich wird Therese auch ihre dritte Mutter, Marie, entzogen, die am 15.10.1886 in den Karmel eintritt. "Und diesem Kind [Therese] nun wollte der Liebe Gott die einzige Stütze entziehen, die es ans Leben band!... Sobald ich Maries Entschluß erfuhr, nahm ich mir vor, mir kienerlei irdische Freuden mehr zu gönnen". Therese reagiert mit Hinwendung zu ihren verstorbenen Geschwistern im Himmel.

Therese reagiert also auf die Herausforderung durch die verschiedenen Trennungserfahrungen mit einer Neigung zu psychosomatischen Erkrankungen einerseits und einer Hinwendung zum Himmel andererseits.

 

 

1.3.9. Vorbild des Vaters

 

Nachmittags besucht Therese mit ihrem Vater das Heiligste Sakrament, täglich in einer anderen Kirche. Der Vater vertraut Therese seine Gedanken an. Nach dem Abendessen, singt Herr Martin, rezitiert Hugo oder Lemartine oder liest etwas aus "Das liturgische Jahr" von Dom Guéranger vor. Beim gemeinsamen Abendgebet neben ihrem Vater "brauchte [e.A.: Therese] ihn nur anzusehn, um zu wissen, wie Heilige beten" Von ihren tiefen und wohltuenden, mit Ruhe und Zärtlichkeit verbundenen Erinnerungen an Gebete mit dem Vater spricht Therese auch in einem nach dessen Tod verfaßten Gedicht. "Erinnere dich, daß du sie im Belvedere / Immer auf deine Knie nahmst. / Und wenn du dann ein Gebet sprachst, / Wiegtest du sie in Schlummer durch so süße Wiederholung. / Einen Widerschein des Himmels sah sie auf deinem Gesicht, / Wenn dein tiefer Blick sich in die Weite einsenkte / Und du von der Schönheit / Der Ewigkeit sangst. / Erinnere dich!..."

Wenn Therese mit ihrem Vater die Messe besucht, hört sie der Predigt aufmerksam zu, "aber noch öfter als auf den Prediger schaute ich auf Papa, sein schönes Antlitz verriet mir so viele Dinge!..." Die erste Predigt, die sie versteht "und die mich tief bewegte, war eine Predigt von Abbé Ducellier über das Leiden, und von da an verstand ich alle anderen Predigten".

Im Sommer 1879 oder 1880 hatte Therese eine Vision bezüglich der bevorstehenden Prüfung des Vaters. Während Herrr Martin auf einer Reise nach Alençon ist, sieht die am Fenster stehende Therese einen Mann wie ihren Vater, nur viel gebeugter, im Garten gehen, den Kopf mit einer Schürze bedeckt. "Sogleich erfüllte ein Gefühl übernatürlichen Schrecks meine Seele". Als sie nach ihrem Vater ruft, hört die Gestalt nicht, setzt ihren Gang fort und verschwindet schließlich. Therese wird aufgetragen, nicht mehr daran zu denken, aber das vermag sie nicht, denn "im Grunde meines Herzens bewahrte ich die innige Überzeugung: diese Vision hatte einen Sinn, der sich mir eines Tages offenbaren sollte".

 

 

1.3.10. Fürbitte

 

Therese übt schon in jungen Jahren das Fürbittgebet. "Die Liebe zwischen Therese und Gott [bleibt] nirgends ein geschlossener Dialog, sondern ist von Anfang an [...] ein Gespräch, das die Welt einschließt." Auf den Spaziergängen läßt der Vater Therese den Armen, die ihnen begegnen, Almosen bringen. Im Alter von sechs Jahren begegnet Therese einem armen, sich auf Krücken voranschleppenden Mann, der das angebotene Almosen ablehnt, "da er sich nicht arm genug fand". Therese ist von dieser Begegnung ergriffen.  " [...] ich [wollte] ihm etwas schenken, was er nicht abweisen konnte, denn ich empfand für ihn ein großes Mitgefühl, nun erinnerte ich mich, gehört zu haben, daß man am Tage der Ersten Kommunion alles erlangt, worum man bittet; dieser Gedanke tröstete mich, und obwohl ich erst sechs Jahre alt war, sagte ich mir: 'Am Tag meiner Erstkommunion werde ich für meinen Armen beten.'". Dies tut sie dann auch fünf Jahre später.

Die Briefe Thereses sprechen von Gesuch um und Gewährung von Fürbitte. Der auf Reisen befindliche Vater wird "mit Gebeten ganz überschüttet". Als einmal Marie und Herr Martin nach Calais und Dover reisen, um den aus Kanada zurückkehrenden Pater Pichon zu treffen, sie ihn aber wegen eines Mißverständnisses zu verpassen drohen und die Daheimgebliebenen nicht sicher sind, ob ihre Informationen die Reisenden rechtzeitig erreichen, schreibt Therese: "Täglich brannte bei der Muttergottes eine Kerze, und ich habe so innig zu ihr gebetet und gefleht, daß ich nicht glauben konnte, Du wüßtest nicht, daß der Pater heute ankommt."

 

 

1.4. Natur

 

Ab dem Alter von etwa 5 Jahren geht Therese häufiger mit ihrem Vater zum Angeln: "Manchmal versuchte ich mit meiner kleinen Angelrute zu fischen, aber lieber setzte ich mich für mich allein auf das blumige Gras, dann waren meine Gedanken recht tiefsinnig. und ohne zu wissen, was Betrachten heißt, tauchte meine Seele ein in wahres innerliches Gebet... Ich lauschte den Tönen aus der Ferne... Das Säuseln des Windes und selbst die verwehten Klänge der Militärmusik, die bis zu mir herüberdrangen, erfüllten mein Herz mit sanfter Schwermut... Die Erde erschien mir als Ort der Verbannung, und ich erträumte den Himmel..." Angesichts der als Proviant mitgenommenen und inzwischen vertrockneten Marmeladenbrote begreift Therese, daß erst im Himmel die Freude vollkommen sein wird.

Worauf beziehen sich diese tiefsinnigen Gedanken? Welche Form der geistigen Tätigkeit verbindet Therese als Ordensfrau hier mit dem innerlichen Gebet? Combes mahnt zur Unterscheidung: "Ganz offensichtlich sind alle sinnfälligen Elemente, deren sie sich erinnert und die sie aufzählt, etwas anderes als ihre tiefen Gedanken. Sie bilden also nicht ihr tatsächliches innerliches Gebet. Fernen Tönen lauschen [...] ist wahrlich nicht das, was Theresia mit einem 'tiefen Nachdenken' bezeichnet." Es gilt also zu unterscheiden, zwischen einem Gedanken und seinem Auslöser. Ihre tiefen Gedanken befassen sich mit dem wahren Wert irdischer Dinge und wecken die Sehnsucht nach dem Himmel. Combes meint aber: "Einem solchen Seelenzustand kann man wohl kaum die Bezeichnung 'Betrachtung' geben, da er mehr in den Bereich des Eindruckes oder der Intuition gehört als in den der verstandesmäßigen Überlegung. Trotzdem aber muß zugegeben werden, daß es sich dabei um eine Art von innerlichem Gebet handelt".

Ein Gewitter auf dem Heimweg erschreckt Therese nicht. Der Blitz begeistert sie, denn "mir schien, der Liebe Gott sei so nahe bei mir!..." (SS 32)

Als Therese mit fünfeinhalb Jahren in Trouville erstmals das Meer erblickt, unterweist es sie über Gottes Größe und Macht: "Nie werde ich den Eindruck vergessen, den das Meer auf mich machte. Ich konnte nicht anders, als es unaufhörlich anschauen. Seine Majestät, das Donnern seiner Wogen, alles sprach zu meiner Seele von der Größe und der Macht des Lieben Gottes." Beim Sonnenuntergang mit Pauline am Meer sitzend, beobachtet Therese wie die Sonne eine Lichtbahn auf  das Meer wirft und erinnert sich dabei an die Geschichte 'Von der goldenen Bahn'. "Lange betrachtete ich diese leuchtende Bahn, ein Abbild der Gnade, den Weg erhellend, den das Schifflein mit dem anmutigen weißen Segel durchlaufen soll... Neben Pauline faßte ich den Entschluß, nie meine Seele den Blicken Jesu zu entziehen, damit sie friedlich der himmlischen Heimat zueile!..."

 

 

1.5. Suche nach dem betrachtenden Gebet und 'Denken'

 

Schon als Kind möchte Therese das betrachtetende Gebet lernen, findet aber keinen, der sie darin unterrichtet: Combes berichtet von Thereses Versuchen bei den Benediktinerinnen. Mit neun Jahren bittet Therese Margarete, die Leiterin der Kongregation der Marienkinder, sie betrachten zu lehren, die Präfektin ist mit diesem Wunsch überfordert. Daraufhin fragt Therese eine Laienschwester der Benediktinerinnenabtei, wie eine Klosterfrau das innerliche Gebet übe. Schwester Henriette antwortet: "Ich weiß nicht, wie die anderen es machen. Ich glaube, daß ich selbst es so ähnlich mache, wie du, Theresia, wenn du abends nach Hause zu deinem Vater kommst, den du seit morgens nicht mehr gesehen hast: du fällst ihm um den Hals, zeigst ihm deine guten Noten, die du in der Schule bekommen hast, erzählst ihm allerlei kleine Vorkommnisse und breitest alles vor ihm aus, was dich freut oder dir Leid bereitet. Siehst du: genau so mache ich es mit dem lieben Gott. Er ist mein Vater. In Gedanken setze ich mich ganz nahe zu ihm, ich bete ihn an, ich spreche mit ihm, indem ich mich so klein mache, wie du bist. Ich bete aus vollem Herzen heraus. Und wie schnell dann die Zeit vergeht." Schwester Henriette, die selbst dieses Gespräch berichtet, meint, Therese befriedigt zu haben. Aber Therese selbst scheint diese Begebenheit wenig beeidruckt zu haben, da sie sie nicht erwähnt. Sie scheint sich den von Schwester Henriette vermittelten Begriff des innerlichen Gebets nicht zueigen gemacht zu haben. Schwester Henriette vergißt bei ihrem Betrachten nie sich selbst, sie spricht Gott immer wieder von ihrer eigenen Person. So kommt sie nicht dazu, "den Geist über die eigenen kleinen Anliegen hinweg emporzuschwingen, um jene des himmlischen Vaters zu erwägen oder gar um diesen in sich selbst zu betrachten". Ein  solches Gebet wäre nach Combes richtiger als Lippengebet zu benennen.

Zur Zeit ihrer Vorbereitung auf die Erstkommunion bittet Therese Marie, jeden Tag eine halbe Stunde Betrachtung zu halten, aber diese findet sie "derart fromm", daß sie ihr nicht einmal eine Viertelstunde gestattet, sondern sie nur ihre mündlichen Gebete verrichten läßt.

In der Abteischule wird die junge Therese von einer Schwester nach ihrer Lieblingsbeschäftigung an schulfreien Nachmittagen gefragt, wenn sie allein ist. "Ich antwortete ihr, daß ich hinter mein Bett ginge in einen leeren Zwischenraum, der sich dort befand, und den ich leicht mit dem Vorhang abschließen konnte, und daß ich dort 'dächte'. - Aber woran denkst du denn? fragte sie mich. - Ich denke an den lieben Gott, an das Leben... an die EWIGKEIT, kurzum, ich denke !..."

Therese zieht sich also zunächst in einer Art Heiligtum in die Einsamkeit zurück, so daß keine weltlichen Einflüsse sie mehr stören. Mit drei Hauptgegenständen beschäftigen sich ihre Gedanken: "Zunächst mit dem lieben Gott, aber nicht als dem väterlich Vertrauten, dem sie ihre kleinen alltäglichen Dinge erzählte, sondern in sich selbst. Zweitens mit der Vergänglichkeit alles Geschöpflichen - nicht mit dem raschen Dahinschwinden ihrer kleinen Freuden und Kümmernisse, sondern mit dem Dahinschwinden der Zeit und alles dessen, was irdisch ist. Schließlich [...] mit dem, was das Licht ihres ganzen Daseins und der Gegenstand ihrer glühenden Hoffnung war: mit der Ewigkeit."

Ihr kommt gar nicht in den Sinn, daß man auch an etwas anderes denken könnte. Die Schwester lacht über Thereses Denkversuche. Doch im nachhinein erkennt Therese, daß ihr göttlicher Lehrer diese tiefen Gedanken in ihr gewirkt und sie so in das innere Gebet eingeführt hat: "Jetzt ist mir klar, daß ich damals das innere Gebet übte, ohne es zu wissen, und daß bereits der Liebe Gott mich im geheimen belehrte."

 

 

1.6. Bücher

 

Therese liebt das Lesen. "Dieser Hang zum Lesen dauerte bis zu meinem Eintritt in den Karmel." Sie ist begeistert von Ritterromanen. Vor allem aber bewundert sie Jeanne d'Arc und verspürt ein großes Verlangen, sie nachzuahmen. Beim Lesen ihrer Heldentaten wird Therese "eine Gnade zuteil, die ich stets als eine der größten meines Lebens erachtet habe [...]. Ich glaubte mich zum Ruhm geboren". Der liebe Gott "ließ mich auch verstehen, daß mein Ruhm nicht sterblichen Augen ansichtig werden sollte, sondern daß er darin bestünde, eine große Heilige zu werden!!!..."

Seit Kindertagen liest Therese die 'Nachfolge Christi'. Sie kennt fast alle Kapitel auswendig und trägt das Buch ständig bei sich. "Abneigung gegen das Wissen der Welt, Verwandlungen der irdischen Tröstungen in Bitterkeit, Allmacht der göttlichen Liebe, Demut und Schmerz als sühnende Kraft in der 'Nachfolge' prägen sicherlich Thereses Spiritualität mit. Aber die Rede vom strafenden, richtenden Gott in der 'Nachfolge' übernimmt Therese nicht. Ebensowenig verbleibt sie in der einseitig persönlichen Gottesbeziehung der 'Nachfolge', wo Kirche, Sakrament und Mitmensch nur eine untergeordnete Rolle spielen."

Wollbold sieht in der 'Nachfolge Christi' eine "bemerkenswerte Ausnahme"  angesichts der direktiven und nicht erfahrungsoffenen geistlichen Bücher von Thereses Schulzeit.

 

 

1.7. (Erst-)Kommunion

 

Als Pauline Therese auf die erste Beichte vorbereitet und sagt, daß sie die Sünden nicht einem Menschen, sondern dem lieben Gott bekenne, fragt Therese sie, "ob ich Abbé Ducellier nicht sagen müsse, daß ich ihn von ganzem Herzen liebe, da ich doch in seiner Person mit dem Lieben Gott selber reden sollte".

Nachdem sie sich vier Jahre darauf vorbereitet hat (zuletzt durch ein Buch von Pauline und die Einkehrtage in der Abtei), geht Therese im Mai 1884 zur Erstkommunion. Hatten Therese und Jesus in den Jahren zuvor schon Blicke der Liebe ausgetauscht, so wird ihr bei ihrer Erstkommunion gewaltig ein fühlbares, beseligendes Einssein mit Jesus geschenkt. Vergessen sind die von Pauline vorgeschlagene Buchführung über die Tugendakte und die beängstigenden Drohungen des Exerzitienleiters. "Der theresianische Sprachschatz, der die erste Begegnung mit Jesus beschreibt, gehört einer ganz anderen Tonart an.": "Es war ein Kuß der Liebe, ich fühlte mich geliebt, und auch ich sprach: 'Ich liebe dich und schenke mich dir für immer.' Es gab keine Forderungen, keine Kämpfe, Opfer; seit langem hatten sich Jesus und die arme kleine Therese angeblickt und verstanden... An diesem Tag aber war es nicht mehr ein Blick, sondern ein Aufgehen ineinander, sie waren nicht mehr zwei, Therese war verschwunden, wie der Wassertropfen im weiten Meer sich verliert. Jesus allein blieb". Wie befreiend muß es sein, sich so geliebt zu fühlen und so im geliebten Jesus aufzugehen, gerade wo Therese doch so oft zweifelt, ob der Jesus mit ihr zufrieden sei.

Therese vergießt Tränen der Seligkeit, ihre Mitschülerinnen denken, daß sie wegen ihrer Mutter oder wegen Pauline weint. Thereses Umgebung entgeht die Tiefe: "Sie begriffen nicht, daß wenn die ganze Freude des Himmels sich in ein Herz ergießt, dieses verbannte Herz das nicht aushalten kann, ohne Tränen zu vergießen..."

Durch den Besuch Jesu ist Therese schließlich auch mit ihrer verstorbenen Mutter und mit Pauline vereint.

Nach dieser beseligenden Erfahrung der Erstkommunion "ist ihr jede Kommunion ein Unterpfand höchster Nähe Jesu, die sie so dringend braucht." Therese hat große Sehnsucht nach erneutem Empfang der Eucharistie. "Jesus allein konnte mich befriedigen". Bei ihrer zweiten Kommunion an Himmelfahrt vergießt sie wieder "Tränen vor unsagbarer Seligkeit, unaufhörlich wiederholte ich mir die Worte des Hl. Paulus: 'Nicht mehr ich lebe, Jesus lebt in mir! [Gal 2,20]...' Seit jener Kommunion wurde mein Verlangen, den Lieben Gott zu empfangen, immer größer". Therese kommuniziert für damalige Verhältnisse sehr häufig, sie will keinen vom Beichtvater erlaubten Kommunionempfang versäumen.

Am Vorabend wird Therese jeweils von Marie auf den Kommunionempfang vorbereitet, dabei äußert Marie einmal, daß Gott ihr den Weg des Leidens wahrscheinlich ersparen werde. Diesmal richtet sich Therese aber nicht wie sonst nach Maries Ansichten. Bei der folgenden Kommunion "fühlte [ich] in meinem Herzen ein großes Verlangen nach dem Leiden erwachen und zugleich die innere Gewißheit, daß Jesus für mich zahlreiche Kreuze bereithielt [...]. Das Leiden wurde das, was mich anzog, es besaß Schönheiten, die mich hinrissen, ohne daß ich sie recht kannte. Bis dahin hatte ich gelitten, ohne das Leiden zu lieben; aber von diesem Tage an empfand ich eine wahre Liebe dafür." Herbstrith versteht diese Sehnsucht nach Leiden "als das Zeichen eines Ablösungsprozesses. Die verwöhnte, ichbezogene Therese ahnte eine Welt, für die es wert war, vieles zu lassen, deren Mitte der gekreuzigte und auferstandene Christus war".

Danach verlangend, Freude nurmehr in Gott zu finden, betet Therese bei ihren Kommunionen häufig aus der Nachfolge Christi: "'O Jesus! du unaussprechliche Süße, verwandle mir in Bitterkeit allen irdischen Trost! [Nachfolge Christi, 3. Buch, Kp. 26,3]...' Dieses Gebet kam mühelos, zwanglos über meine Lippen; mir war, als wiederholte ich es nicht willentlich, sondern wie ein Kind, das die Worte nachspricht, die ein befreundeter Mensch ihm einflüstert..." Am Tage ihrer Firmung erhält Therese "die Kraft zu leiden".

 

 

1.8. Exerzitien und Skrupel

 

Im Zusammenhang mit der Heilung durch das Lächeln der Muttergottes entsteht für Therese eine doppelte "Seelenpein". Hat sie die Symptome der Krankheit nur simuliert? Hat sie gelogen, als sie vom Lächeln der Seligen Jungfrau sprach?

Therese nimmt sich vor, das Geheimnis vom Lächeln zu wahren, sie ahnt, daß ihr Glück sonst schwinden würde.  Aber Marie bringt sie zum Sprechen und die wunderbar Geheilte wird im Karmel vorgeführt. Angesichts der Fragen der neugierigen Schwestern, die sich die seligste Jungfrau ganz anders ausmalen, als Therese sie gesehen hat, wird Therese verunsichert: "Ihr Antlitz allein hatte mich beeindruckt, als ich deshalb sah, daß die Karmelitinnen sich etwas ganz anderes vorstellten [...], so glaubte ich gelogen zu haben..." Ihre Freude wandelt sich in Demütigung und sie kann sich "nicht ohne ein Gefühl tiefen Abscheus betrachten...". Aber "die Muttergottes ließ diese Qual zum Besten meiner Seele zu".

Ein weiterer Zweifel steigert ihr Schuldgefühl: Angesichts der merkwürdigen Symptome ihrer Krankheit befällt Therese die Furcht, sie habe nur simuliert. Weder Marie noch ihr Beichtvater (Abbé Ducellier) können sie diesbezüglich beruhigen. Im Zusammenhang mit ihren Seelenängsten ist auch Thereses erstes erhaltenes niedergeschriebenes Gebet zu sehen: "Meine gute heilige Jungfrau, hilf, daß Ihre kleine Therese sich nie mehr mit Ängsten quälen muß."  Das Stoßgebet entspringt einer konkreten Not. Um die Zeit der Erstkommunion lassen die Seelenängste Thereses für etwa ein Jahr nach.  

Angestoßen durch die Exerzitien vor ihrer Zweitkommunion stürzt Therese in schwere Skrupulosität. Abbé Domin hat schon in den Exerzitien vor der Erstkommunion von Rechenschaft ablegen vor Gott, Tod, Höllenqualen, unwürdiger erster Heiliger Kommunion gesprochen und "Dinge gesagt, die mir sehr Angst gemacht haben". Während der - ebenfalls von Abbé Domin gehaltenen - Exerzitien zur Zweitkommunion notiert Therese: "Was der Herr Abbé zu uns gesagt hat, war sehr erschreckend. Er hat uns von der Todsünde erzählt; er hat uns die Seele im Stande der Todsünde beschrieben und uns gesagt, wie sehr Gott sie hasse. Er hat sie mit einer kleinen Taube verglichen, die man in den Schlamm taucht und die deshalb nicht mehr fliegen kann. So verhält es sich auch mit uns, wenn wir im Stande der Todsünde sind und unsere Seele nicht mehr zu Gott erheben können."

Anderthalb Jahre lang ist Therese von der "schrecklichen Krankheit der Skrupeln befallen... Man muß dieses Martyrium durchgemacht haben, um es recht zu verstehen. [...] Alle meine Gedanken und meine einfachsten Handlungen wurden für mich Anlaß zur Verwirrung".

Nur Marie erzählt sie während des Frisierens ihre Skrupeln und fühlt sich verpflichtet, ihr auch ihre ausgefallensten Gedanken mitzuteilen. Therese beichtet nur die Sünden, die Marie ihr zu beichten erlaubt, so daß ihre Beichtväter erstaunlicherweise nichts von ihrer schlimmen Krankheit wissen.

Wem soll Therese nach Maries Karmeleintritt ihre Skrupel anvertrauen, die sie quälen? Da sie auf Erden keine Hilfe mehr findet, wendet sie sich an ihre vier verstorbenen Geschwister im Himmel.

"Ihr Heimgang in den Himmel schien mir kein Grund dafür, mich zu vergessen, im Gegenteil, da sie Gelegenheit hatten, aus den Göttlichen Schätzen zu schöpfen, sollten sie mir von dorther den Frieden holen und mir damit zeigen, daß man auch im Himmel noch zu lieben versteht!... Die Antwort ließ nicht auf sich warten, bald überströmte der Friede meine Seele mit seinen köstlichen Fluten, und ich begriff, daß wenn ich auf Erden geliebt war, ich es auch im Himmel war... Von da an wuchs meine Andacht zu meinen seligen Brüderchen und Schwesterchen und gerne unterhalte ich mich oft mit ihnen und erzähle ihnen von den Kümmernissen der Verbannung... von meinem Verlangen, ihnen bald in die ewige Heimat nachzukommen!..." In der Hinwendung zu ihren verstorbenen Geschwistern begreift Therese, daß sie auch im Himmel geliebt ist, und wird Ende Oktober 1886 von ihrer schweren Skrupulosität geheilt.

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  Kapitel 6

  Kapitel 7+8

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